Porträtsitzungen im Kameramuseum

Frau Edixa und Urs Sohmer führen ein privates Kameramuseum. Mit Kameras aus der Frühzeit der Fotografie machen sie Porträtaufnahmen und überraschen immer wieder mit ihren Fotoprojekten.

Sich einmal von einem Fotografen, dessen Kopf unter einem schwarzen Tuch versteckt bleibt, mit einer alten Holzkamera auf einem schweren dreibeinigen Stativ aus den Anfangsjahren der Fotografie porträtieren lassen. Dabei stillsitzen müssen, wie es in der Zeitenwende vom 19. zum 20. Jahrhundert in den Fotostudios gefordert wurde. Die Fotoplatten waren nur wenig lichtempfindlich und darum die Verschlusszeiten entsprechend lang. Deshalb wurde schon jede kleinste Bewegung und jedes tiefe Atemholen auf dem Bild sichtbar. Sich so fotografieren lassen, wie es die Urgrosseltern noch kannten. Das ist möglich, das gibt es noch.

Urs Sohmer, Fotograf, Fotohistoriker, Foto- und Fotoapparatesammler in Oberuzwil (SG) bietet das im Fotoatelier, das er und Frau Edixa betreiben. Auf Wunsch erläutern die beiden der porträtierten Person jeden Schritt des Aufnahmeverfahrens. Und weil ein Fotolabor zum Fotostudio gehört, kann man auch das langsame Werden eines Bildes im Entwicklerbad in der Dunkelkammer mitverfolgen. Wer sich von Sohmer und Frau Edixa in einer Porträtsitzung fotografieren lässt, erhält ein grossformatiges Unikat, ein Bild, dass es nur ein signiertes einziges Mal gibt.

Kollodium-Fotografie wie anno dazumal ist eine Spezialität des Ateliers in Oberuzwil. «Das Kollodium, das Silberbad, wie auch die Entwickler für die Kollodium Portraits mische ich in meinem Labor nach alten Rezepten aus Rohchemie zur hauseigenen Mixtur zusammen», erklärt Urs Sohmer. «Im Atelier beschichte ich eine Glas- oder Aluminium-Platte mit der Kollodium Lösung, tauche sie ins Silberbad und baue sie noch nass in die historische Plattenkamera ein. Nach dem Einfangen ihres Antlitzes kann die porträtierte Person miterleben, wie ihr Portrait auf der Platte erscheint.» Eine schnelle Sache ist Kollodium-Porträtfotografie wirklich nicht: bis zu zwei Stunden kann es dauern, wenn drei Platten belichtet werden. Die Bilder haben eine sehr eigene Anmutung. Leute, die etwas besonderes erleben wollen, melden sich zur Porträtaufnahme im Atelier in Oberuzwil. Nicht selten kommt es vor, dass jemand eine Porträtsitzung verschenkt. Und wer sich hat porträtieren lassen, erfährt nebenbei von den beiden Fotografen allerlei zur Geschichte der Fotografie.

«Atelier sohmer photo ART» steht am Eingang einer ehemaligen Fabrik an der Freudenbergstrasse 2 in Oberuzwil. Und auf einer zweiten Tafel steht in geschwungener Schrift «Frau Edixa» und darunter «Analog Photo & Letter Experiments». Das Wort Photo ganz so wie man Foto früher schrieb. Denn hier wird fast ausschliesslich analog mit Fotoplatten und Filmen gearbeitet. Frau Edixa? Ja, so nennen sie die Leute, die ihre fotografischen Arbeiten kennen. Präzise Mehrfachbelichtungen und Bild-Parallelwelten gehören zu ihren fotografischen Spezialitäten  Sie ist mehr Fotokünstlerin als Dokumentarfotografin. Ihr Künstlerinnename ist ihr haften geblieben seitdem sie jene Kamera bekommen hatte, welche ihr Vater zur Geburt der Tochter gekauft hatte. Es war eine Edixa Mat Reflex. Urs Sohmer ist schon lange von der Fotografie begeistert: «In der Sekundarschule hat mich der Fotovirus erwischt, seitdem begleitet mich die Fotografie».

Ein Raum im gemeinsamen Fotoreich von Urs Sohmer und Frau Edixa birgt eine grosse Sammlung analoger Kameras, darunter auch die unterschiedlichsten Kameras der längst untergegangenen Marke Edixa. Frau Edixa hat sich mit der Geschichte der Kameramarke auseinandergesetzt: «Die Wiesbadener Wirgin Kamerawerke» stellten ab 1924 und bis 1971 diverse Kameramodelle – so auch die Edixa – her. 1938 wurde das Unternehmen vom Staat beschlagnahmt und im Rahmen der Arisierung an die Werke Dr. Schleußner Adox verkauft. 1945 fand eine Rückübertragung an die alten Besitzer statt und die Kameraproduktion wurde wieder aufgenommen».

Im kleinen Fotomuseum hängen Kamerataschen aus den 50er und 60er Jahren

Sohmer und Frau Edixa, die in der ehemaligen Strumpffabrik ihr Fotoatelier und Fotoapparatemuseum eingerichtet haben, sind ein Foto-Kreativpaar, voller Foto-Leidenschaften. Beide haben einen Brotberuf. Sie arbeitet im Sozialbereich, sein beruflicher Hintergrund liegt in der Maschinenindustrie. Beide sind sie in ihren Erwerbsberufen nicht Vollzeitangestellte, denn sie wollen sich weiterhin intensiv mit der Fotografie auseinandersetzen. Die Digitalfotografie kennen beide. Frau Edixa gibt schmunzelnd zu, manchmal auch Handyaufnahmen zu machen: «Analog fotografiere ich, weil mich der Prozess fasziniert. Das achtsame schrittweise Vorgehen, die manuelle Schaffensweise. Präzision und Einfühlungsgabe gehören zur Analogfotografie». «Zu erleben wie ein Bild vor meinen Augen entsteht, fasziniert mich immer wieder aufs Neue», sagt Urs Sohmer. Und sie sagt über eine Fotoarbeit: «Film eingelegt das erste Bild belichtet. Über den grossen Teich nach Long Beach California gebracht, dort präzis zurückgedreht, nochmals belichtet. Und das dann mehrmals wiederholt». Aus den USA ist sie mit schönen doppelt belichteten Bildern zurückgekommen. Während einer Gemeinschaftsausstellung waren je 3 handvergrösserte Fotografien parallel in Long Beach (California) und in der Galerie Fafou in Oberuzwil zu sehen.

Das gemeinsame Atelier der beiden zeigt, wie sehr sie von der Fotografie fasziniert sind. Da hängen alte Bilderrahmen aus dem Fundus von Brockenhäusern, in denen Fotografien von Fotografin Edixa zu sehen sind. Auf Wunsch können Fotografierende eigene Bilder in alten Rahmen einsetzen lassen. Das Fensterglas an einer Tür im gemeinsamen Atelier ist so eng mit Diapositiven vollgeklebt, dass man im ersten Moment meint, hier hätte ein Glaskünstler ein feines Kunstwerk geschaffen. Und gleich nebenan hängen an einer Wand helle und dunkle, braune und schwarze lederne Fototaschen der verschiedensten Kamerahersteller an einer Wand: Taschen wie es sie vor dreissig und mehr Jahren im Vor-Smartphone-Zeitalter Touristen umhängen hatten. Nichts fehlt in diesem kleinen Fotomuseum: Belichtungsmesser, Blitzgeräte, Stative, Objektive verschiedenster Brennweite, Fotofilme der verschiedensten Marken.

Immer wieder arbeiten Frau Edixa und Urs Sohmer an gemeinsamen Projekten. «Pilderweg» hiess eine Ausstellung der beiden Fotofreaks. Zu Beginn des Projekts stand die Idee einer Fotoausstellung, bei der kein Bild an der Wand hängend präsentiert würde. Die gewohnte Art, Bilder zu betrachten, sollte gebrochen werden. Die Idee: Die Besucher*innen würden selber Teil der Installation sein und langsam und neugierig zwischen Fotografien, welche die /D)raussensicht nach (D)rinnen bringen würden, durch die Bilder schlendern können. An Schnüren von der Decke hängend wurden die Fotografien entlang 7 Themen aufgehängt und gruppiert: Steine, Wege, Zäune / Grenzen, Abfall, Wasser, Bäume und Wolken lauteten die Themen. 1100 Motive waren in der Ausstellung zu sehen. Auf unzähligen Wanderungen, häufig gleich vor der Haustür beginnend, sind diese Bilder aufgenommen worden. Der klare Fokus auf sieben Themen und die Beschränkung der Foto-Orte auf vertraute Bereiche hatten zur Folge, dass beim genauen Hinschauen Neues und bis anhin Unvertrautes entdeckt wurde.

«Willkommen in der Kamera» war ein weiteres gemeinsames Projekt, an dem während eines bestimmten Zeitraums über 100 Personen teilgenommen haben. In der gegenüber dem Atelier liegenden Galerie Fafou bauten die beiden einen der zwei Räume zu einer begehbaren Kamera um. In dieser dunklen Kammer konnte das Publikum den analogen Fotoprozess sozusagen im Innern der Kamera miterleben: fokussieren, belichten, entwickeln. Der Clou: vor der Kamera – im zweiten Raum der Galerie, der hellen Kammer – konnten die Fotografierten den Auslöser selber betätigen, womit sie ein überlebensgrosses Selfie nach alter Manier aus der Zeit vor der Digitalfotografie machen konnten. Als alle 107 Porträts am letzten Tag des Projekts in der hellen Kammer der Galerie präsentiert wurden, war die Ausstellung für zwei Stunden statisch. Danach konnten die fotografierten Personen ihre Bilder in der Grösse von 40 x 50 Zentimeter erwerben.

Zu den Porträtsitzungen siehe auch https://artportrait.ch/kollodium-photographie.html

Zu den Arbeiten der Fotografin und des Fotografen: https://www.slak.ch/projekte

Eingeworfen am 21.1.2024

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