La Chaux-de-Fonds: Bilder eines Jahres

Fotografin Sophie Stieger aus Zürich hat ein Jahr lang in La Chaux-de-Fonds gelebt und die Stadt aus ihrer Sicht fotografisch festgehalten. Einen Einblick in die Stadt im Neuenburger Jura gewähren eine Bilderzeitung und eine Ausstellung.

Einfach für eine Weile aussteigen. Zum Beispiel ein Jahr lang anderswo wohnen. Am liebsten in eine andere Sprache eintauchen. Sich umschauen, das Fremde näher an sich herankommen lassen. Drei, die es getan haben sind Sophie Stieger, ihr Partner Roger Lehmann und ihr gemeinsamer Sohn Edwin. Sie ist Fotografin, er Landschaftsarchitekt, der Sohn Primarschüler.

Eigentlich war vorgesehen, im Süden Englands Quartier zu beziehen. Aber Corona und Brexit erwiesen sich als Hindernisse. Ein Besuch der drei Zürcher in der Westschweiz führte nach La Chaux-de-Fonds und zum Entschluss, sich ein Jahr lang in der auf 1000 Metern Höhe gelegene Uhrmacherstadt niederzulassen. Neben den vielen Erfahrungen, die die drei gemacht haben, ist noch eine sehr persönliche Fotodokumentation von Sophie Stieger entstanden: Ein Bilderjahr in La Chaux-de-Fonds. Eine erste Fotoausstellung hat vor Ort stattgefunden. Eine Fotopublikation von Sophie Stieger in Zeitungsformat wird von der Buchhandlung «Le Méridienne in La Chaux-de-Fonds vertrieben. Und weil ihnen die Stadt im Neuenburger Jura und unweit von der französischen Grenze im Laufe eines Jahres ans Herz gewachsen ist, haben sie nach ihrer Rückkehr nach Zürich eine kleine Wohnung, ein Pied-à-Terre, gemietet, um immer wieder hin zu fahren, die neuen Freundschaften zu pflegen. Schliesslich ist La Chaux-de-Fonds gemeinsam mit der benachbarten kleineren Schwesterstadt Le Locle UNESCO-Weltkulturerbe, eine besonders ausgezeichnete Stadt.

Die Menschen in La Chaux-de-Fonds seien aufmerksamer, freundlicher als in Zürich, meint Fotografin Stieger rückblickend. Sie habe beobachtet, dass man sich dort gelassener, ruhiger bewege als in Zürich. Die Stadt ist kleiner, übersichtlicher. Man kennt sich hier schneller als in der grossen Stadt. Anders als in Zürich finde man in La Chaux-de-Fonds leichter eine Wohnung, was damit zu tun hat, dass die am westlichen Rande der Schweiz liegende Stadt im Jura unter Abwanderung leidet.

So haben sie und ihr Partner ohne langes Suchen eine Wohnung für das Auswärtsjahr gefunden. Und sie war nicht die einzige Künstlerin aus der deutschsprachigen Schweiz in ihrer Strasse. Fast nebenan lebte (und lebt immer noch dort) Schriftsteller Urs Mannhart, der zwei Tage die Woche in einem Bauernhof arbeitet und nebenher tageweise im Guesthouse Le Locle am Empfang tätig ist und in seiner Jahrhundertwende-Wohnung an seinen Texten arbeitet. Und so wie mittlerweile Mannhart zur Stadt gehört, gehört auch Fotografin Sophie Stieger zu La Chaux-de-Fonds. Im Rahmen der Ausstellung L’Art en Vitrine der Organisation Arty Show mit lokalen Künstlerinnen und Künstlern, an der in Schaufenstern für die Dauer eines Monats Kunstwerke gezeigt werden, hat Sophie Stieger im Schaufenster der Hutmacherin von Dolly Modes Arbeiten zeigen können. Und bei der Nuit de la Photo von La Chaux-de-Fonds auf Einladung der Veranstalter wird sie Architekturaufnahmen aus „La Rencontre“zeigen.

Sophie Stieger lebt und arbeitet in Zürich. Sie hat Fotografie in Vevey gelernt, ist Mitglied der Agentur 13 Photo und fotografiert seit 2005. Sie macht regelmäßig Porträts und Reportagen für verschiedene Kunden mit einem ausgeprägten Sinn für Menschen und Raum. Immer wieder fotografiert sie für die Schweizer Ausgabe der Wochenzeitung DIE ZEIT und für die Designzeitschrift Hochparterre. In ihren persönlichen Projekten sucht sie den Dialog mit der Natur und den Objekten ihrer Umgebung. Sophie Stieger hat im Laufe des Jahres La Chaux-de-Fonds erkundet. Die Resultate eines Fotojahres hat sie vor Ort an einer Ausstellung an einem Abschiedsfest gezeigt. Zudem hat sie eine Dokumentation im Zeitungsformat mit Titel «La Rencontre» (Die Begegnung) publiziert. Spannend an Sophie Stiegers Fotoarbeiten ihres Aufenthaltes in La Chaux-de-Fonds ist, dass sie eine etwas andere Stadt zeigt als die, die man zu kennen meint. Oder besser ausgedrückt: eine andere Stadt, die man als Tourist kaum kennt. Denn La-Chaux-de-Fonds ist jene Stadt, deren Strassen in einem grossen rechteckigen Raster geplant und angelegt wurden. Typisch die hohen Häuser, typisch die Gärten mit ihren Mäuerchen, typisch die immer wieder anzutreffenden grossen Fenster in den oberen Stockwerken, die viel Tageslicht bei der Arbeit der Uhrmacher hineinliessen.

Ein typisches Wohnhaus in <la Chaux-de-Fonds mit Uhrenatelier im Dachgeschoss

Es gibt nicht wenige Publikationen über La Chaux-de-Fonds. Es ist die schachbrettartig angelegte Stadt mit ihren so streng einheitlich wirkenden Strassen, die Auswärtige faszinieren. Die Stadt weist bemerkenswerte Bauten auf wie die alte Reitschule, das Theater, den als Theater und Ausstellungshalle genutzten Temple Allemand, das Kunstmuseum sowie das Uhrenmuseum, die grosse Synagoge im neomaurischen Stil, den wegen seiner einmaligen Akustik berühmten Salle de Musique sowie drei Wohnhäuser von Stararchitekt Le Corbusier, der aus La Chaux-de-Fonds stammte.

All das kennt die Fotografin, die ihr Augenmerk aber auf ein anderes La Chaux-de-Fonds richtet. Es sind die modernen Wohnbauten der letzten vierzig Jahre, die in keinem Reiseführer vorkommen. Es sind einzelne Menschen, die ihr in der Stadt begegnet sind. Gerade sie kommen mit Namen und kurzer Biografie in der Bilderzeitung vor, während die Wohnbauten und Fabriken ohne Adressangabe und ohne beschreibende Details gezeigt werden. Nicht wenige unter den porträtierten Personen sind Zugezogene, die ursprünglich für eine kurze Zeit gekommen und eine lange Zeit geblieben sind, bleiben werden. Stieger zeigt moderne Wohnbauten und Fabriken, eine Stadtsilhouette, sie gibt Einblick in Wohnungen und stellt Bewohnerinnen und Bewohner vor. La Chaux-de-Fonds ist eine Stadt im Grünen, der der Ruf vorauseilt, im Winter ausserordentlich kalte Temperaturen aufzuweisen. Eine einzige Aufnahme einer Schneebedeckten Strasse und eine weitere von spitzen Eiszapfen kommen in der Dokumentation vor: Auch in den Juraanhöhen ist es in den letzten Jahren wärmer geworden. Eine einzige Aufnahme zeigt ein Wohnhaus mit den typischen Uhrenatelierfenstern im Dachgeschoss eines Hauses. La Chaux-de-Fonds ist mehr als nur jene Stadt mit alten Fabrikations- und Wohnhäusern.

Zu ihrer Publikation La Rencontre meint Sophie Stieger: «Dies ist eine Hommage an die Chaux-de-fonniers, die hier für ihre grossartige Stadt sprechen».

Am Mittwoch, 17. Januar um 19 Uhr spricht die Fotografin mit der Ausstellungskuratorin Sabina Bobst in der Buchhandlung Never Stop Reading an der Spiegelgasse 18 in Zürich über ihre vom Sommer 2022 bis zum Sommer 2023 in La-Chaux-de-Fonds entstandene Bilderwelt.

(Beide Bilder von Sophie Stieger aus der im Text erwähnten Publikation).

Eingeworfen am 21.1.2024

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte Sie auch interessieren