Susen Reuter: «Schwarzweissfotos wirken kraftvoller»

Apolda. Stadt in Thüringen. Knapp 24 000 Einwohner*innen. Im Rahmen einer Aktion, bei der es darum ging, das triste Bild von leeren Schaufenstern geschlossener Läden im historischen Stadtzentrum zu beleben, haben Künstlerinnen und Handwerker, sich mit positiven Statements zum Wohnen und Arbeiten in Apolda fotografieren lassen. Bilder und Statements sind grossformatig an der Bahnhofstrasse zu sehen. Auf: einer dieser grossen Fotografien ist eine Frau abgebildet, die eine Kamera hält. Es ist die aus Weimar stammende Fotografin und Malerin Susen Reuter. Ihr grosszügiges Atelier, das auch eine Galerie ist, befindet sich in der Kulturfabrik Apolda. Grund genug für einen Besuch im Atelier, in dem Landschaftsbilder und Porträts von Menschen in Afrika hängen.

Frau Reuter, Sie arbeiten in grosszügigen Räumen einer ehemaligen Textilfabrik. Heute heisst sie Kulturfabrik. Mehrere Künstler*innen arbeiten dort. Wie ist das Nebeneinander oder Miteinander in diesem grossen Bau? 

Die Räumlichkeiten, die uns in der ehemaligen Strickwarenfabrik zur Verfügung stehen, sind einfach genial. Die Atmosphäre des Fabrikgebäudes, die großen lichtdurchfluteten Säle, die Ateliers mit ihren hohen Decken und großen Fenstern sind perfekt für diese Form der Nutzung geeignet. Wir Künstler*innen fühlen uns wohl und genießen es, nebeneinander zu arbeiten – aber auch mal bei Kaffee und Kuchen zusammenzusitzen, sich auszutauschen oder gemeinsam Projekte zu entwickeln. Es ist also auch ein inspirierendes Miteinander. Die Synergien, die sich daraus ergeben, führen zum Beispiel zu gemeinschaftlichen Ausstellungen und Messebeteiligungen. 

 Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?

So ganz genau kann ich den Zeitpunkt gar nicht festmachen. Schon als Jugendliche habe ich analog fotografiert und voller Vorfreude den Moment herbeigesehnt, wenn man die Papiertüte mit den entwickelten Bildern im Fotogeschäft abholen konnte. Irgendwann tauschte ich die analoge Kamera gegen die erste Digitalkamera, das Sehen schärfte sich und die Beschäftigung mit der professionellen Fotografie wuchs. Nach und nach vergrößerte sich die Kameraausrüstung. Vor rund 10 Jahren begannen erste Ausstellungsprojekte mit Fotografien.  

Susen Reuter. Die Fotografin im Schaufenster an der Bahnhofstrasse in Apolda

Es fällt auf, dass Ihre Landschaftsbilder und die Porträts schwarzweiss sind. Weshalb haben Sie sich so entschieden? 

Die Schwarzweißfotografie entwickelte sich mit der Zeit und bildet heute einen Schwerpunkt in der künstlerischen Auseinandersetzung mit Fotografie. Ich glaube, es waren zuerst Porträts von Menschen, die ich auf meinen Reisen in Afrika gemacht habe, die in Schwarzweiß viel intensiver auf mich wirkten. Die Farben der Kleidung lenkten nicht ab, sondern man nahm die Mimik und Gestik viel stärker wahr. Dann fing ich an, Wildnisgebiete in Schwarzweiß zu fotografieren, und so ging es weiter. Ich habe das Gefühl, dass Schwarzweißfotos kraftvoller wirken und sie die Seele einer Landschaft, eines Tieres oder eines Menschen eher zum Ausdruck bringen.

Das Vertikale in Ihren querformatigen Landschaftsbildern: Steht dahinter eine ästhetische oder andere Überlegung? 

Meine Aufnahmen entstehen zunächst aus dem puren Berührtsein des Moments heraus. Da ist etwas, das mich fesselt. Da geht etwas eine Kommunikation mit meinem Inneren ein. Das können klare Feldlinien sein, kerzengerade emporwachsendes Schilfrohr oder Borkenstrukturen von Bäumen. Wie ich diese Strukturen letztlich vom Format festhalte, entspricht meinem eigenen ästhetischen Empfinden. Das ist ja prinzipiell eines der schönsten Dinge an Kunst überhaupt: Kunst ist frei. Kunst ist individuell. Das zu starke Anhaften an Regeln schafft meiner Meinung nach Einheitsbilder, die schnell auch langweilig sein können. Oft sehe ich Fotografien, die wirken, als seien sie durch eine Schablone fotografiert. Da fehlt das gewisse Etwas. Da nützt auch ein Aufpimpen mit Photoshop nichts. Etwas aufzubrechen und sich trauen, Dinge einfach mal komplett anders zu machen – das finde ich spannend. Es eröffnet letztlich auch die Möglichkeit, dadurch Neues zu entdecken oder die eigene künstlerische Handschrift herauszuarbeiten.

Was bedeutet Ihnen Landschaftsfotografie? Was können Sie mit dieser Art der Fotografie auslösen oder ausdrücken?

Landschaftsfotografie bedeutet für mich, dass die daraus entstehenden Bilder Zeitzeugen von Prozessen auf unserem Planeten sind. Ganz gleich, ob es von Menschenhand geformte Landschaften betrifft, oder jene, die komplett der Natur überlassen werden und in denen wir als Menschen nicht eingreifen dürfen. Wildnis fasziniert mich am meisten. Mäandernde Fluss- und Bachläufe, die sich so herrlich winden und ganz im Gegensatz zu in geraden Korsetts gepressten Wasseradern stehen. Abgestorbene Bäume, die nach wie vor voller Leben sind und die wie skurrile, überlebensgroße Figuren anmuten. Aber auch von Menschenhand geschaffene Landschaftsparks und Teichlandschaften, oder längst aufgegebene Bergbaugebiete, in denen die Sukzession Einzug gehalten hat, können einen hohen ästhetischen Reiz haben.

Ein Lansdschaftsbild von Susen Reuter

Ihre Beschäftigung mit oder ihre Reisen durch Afrika: Was fasziniert Sie an diesen Ländern, an diesem Kontinent’ 

Man könnte sagen, die Faszination mit diesem Kontinent begann bereits in der Kindheit mit Büchern über Afrika. Dann ging es weiter mit Reportagen und TV-Dokumentationen, die mich in den Bann zogen, bis ich vor über 23 Jahren zum ersten Mal meinen eigenen Fuß auf den Kontinent setzte. Die meisten Menschen, die einmal in Afrika waren, verspüren den Drang, wieder dorthin zu reisen. Eine genaue Antwort habe ich noch nicht gefunden, aber da ist etwas, das über die Faszination der Exotik hinaus geht. Afrika ist voller Widersprüche, aber auch voller Wahrheiten und Weisheiten. Mir ist auf meinen Reisen bisher sehr viel Herzlichkeit, Offenheit und Freundlichkeit entgegengebracht worden. Wenngleich ich weiß, dass es auch Schattenseiten wie Kriminalität und Korruption gibt. Doch man darf bei all diesen Themen eben auch das Gute nicht unerwähnt lassen – und dies geschieht in meinen Augen viel zu selten.

Wie meinen Sie das konkret?

Es fängt schon bei reißerischen Tier-Dokumentationen an, wo es nur ums Fressen und Gefressen werden geht. Wo sind aber all die Szenen, die das Mitgefühl und die Zuneigung, das Teilen und Helfen unter Tieren zeigen? Bezogen auf Menschen gilt dies natürlich ebenso. Deshalb freut es mich besonders, wenn ich Reportagen sehe wie die über das Matriarchat in Guinea-Bissau und den Frieden, den die Frauen auf der Insel Orango bis heute (sogar über Kolonialzeiten hinweg) bewahrt haben. Oder Berichte über aufstrebende Länder wie Ruanda. Ruandas Korruptionsindex ist niedriger als in zahlreichen europäischen Ländern, so gut wie alle Einwohner haben eine Krankenversicherung, die meisten Arbeitnehmer eine Pensionskasse, es gibt einen staatlich geregelten Mutterschaftsurlaub, und der Schulbesuch ist obligatorisch. 

Haben Sie fotografische Vorbilder? 

Ja, habe ich. Es gibt großartige Fotografinnen und Fotografen, die mich inspirieren und in gewisser Weise Vorbilder sind – Vorbilder insbesondere darin, welchen Mehrwert diese Aufnahmen für die Welt und für das Bewusstsein in uns Menschen haben. Sebastião Salgado zum Beispiel, der die Erde, ihre Natur und Kulturen in einzigartigen Schwarzweißporträts festhält und für ihren Schutz wirbt, der mit seiner Frau das Instituto Terra gründete und große Flächen brasilianischen Regenwaldes wieder aufforstet. Oder Heinrich van den Berg, der wie kaum ein anderer das afrikanische Wildlife in Schwarzweiß festzuhalten vermag und damit gleichzeitig den notwendigen Schutz dieser vom Aussterben bedrohten Tierarten sichtbar macht. Oder die Fotografin Tirta Winata mit ihren außergewöhnlichen minimalistischen Naturimpressionen in Schwarzweiß. Oder der isländische Naturfotograf Ragnar Axelsson, der die nordische Welt mit ihren Urkräften in Szene setzt und Landschaft wie Mensch eindrucksvoll porträtiert. 

Und dann malen Sie auch noch: Was macht die Fotografie, die so präzis Details erfassen kann, mit Ihrer Malerei’ 

Die Fotografie nutze ich, um allzu Offensichtliches in ein neues Licht zu rücken oder Verborgenem auf die Spur zu kommen. Es geht bei der Fotografie immer um eine subjektive Form des Sehens: Was nehme ich wahr? Aus welcher Perspektive betrachte ich es? Was berührt mich am Gesehenen? Die Formen und Strukturen, die mir in fotografischen Arbeiten begegnen, beeinflussen mich mitunter auch in der Malerei. Der Unterschied zwischen beiden Welten ist, dass mir Malerei mehr Freiheiten im Ausdruck lässt, während die Fotografie immer eine Projektion, eine Wiedergabe eines Moments ist. Malerei ist ein Prozess. 

Stören sich Fotografie und Malerei oder befruchten sie sich gegenseitig?

Beides ist faszinierend, beides begeistert mich, beides gehört zu mir. Mal überwiegt die Fotografie, dann gibt es wieder Zeiten, in denen ich mich mehr der Malerei widme und mich darin vertiefe. Diese Phasen wechseln sich ab, verschwimmen aber auch mal miteinander – wie bei der Werkreihe LANDSCAPES & ELEMENTS, welche Schwarzweißfotografie, aber auch Gemälde in Schwarzweiß beinhaltet. 

Wenn man Radaraufnahmen bzw. Satellitenbilder im weitesten Sinne zur Fotografie zählt (sie sind ja auch Abbilder der Erde, eben aus dem All), dann verbinde ich Fotografie und Malerei im Crossover-Projekt GEO ART. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Christiane Schmullius und verknüpft Kunst mit Wissenschaft. Radaraufnahmen, die ich von Forschenden zur Verfügung gestellt bekomme, transformiere ich zu großformatigen Leinwandgemälden.

Das Porträt aus der Serie faces, das Landschaftsbild aus der Fotoserie nature. Beide Bilder von Susen Reuter.

Landschaftsbilder von Susen Reuter: https://www.susenreuter.com/themen/nature/black-white/

Und ihre Homesite: https://www.susenreuter.com/

Eingeworfen am x.x.202x

3 Kommentare

  1. grandios, liebe Susen Reuter!

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  2. Darf ich noch auf einen Graphiker verweisen, der einst Strukturen in der S/W-Photographie suchte? Oder seine Studenten hierzu animierte? Otl Aicher. Diese — strukturelle — Sichtweise wurde begünstigt durch das kleine Negativformat (der Kleinbildfilme), das er verwendete, und um hier eine größere Plastizität zu erreichen, vergrößere er die Bilder hart: die Graustufen wurden gedämpft, Schwärzen und Weißen wurden gestärkt. Dadurch gewannen die Photographien an graphischem Profil. Da sehe ich eine Verwandtschaft.

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  3. Sehr schönes Interview.
    Sehr persönlich und herzlich.
    Und…tolle Bilder!

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