Neue Fotos in der Eventlocation-Halle

Eine Fotografin am Schnappschuss

Autor: Michael Guggenheimer

Auf dem Gelände der ehemaligen Maschinenfabrik Oerlikon (MFO) in Zürich erinnert eine architektonisch spannende Park-Halle an die vergangene Nutzung. Mich hat der hängende Garten im MFO Park mehr imponiert als die gleich nebenan in der Eventlocation Halle 550 stattfindende photoSCHWEIZ 2021 mit ihren sehr vielen selbstgefälligen und harmlosen Arbeiten. Weniger Einsendungen hätten mehr sein können.

Ich war auf der Suche nach Arbeiten, die eine Idee verfolgten. Und ich fand zum Beispiel diese: Der Schweizer Sänger Tobias Jundt alias Bonaparte machte 2019 einen lustigen Post auf seinem Instagram Profil: Er visualisierte – in Form eines inszenierten Bildes – den Titel seines Lieblingsbuches. Die Firma ifolor hat die Idee aufgenommen und Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen und Musiker*innen eingeladen, den Titel ihres Lieblingsbuches fotografisch umzusetzen. Das Resultat ist ein humorvolles Fotoprojekt an der Schnittstelle von Fotografie und Literatur. Wortkünstler: Aus Literatur wird Fotografie.

Schriftstellerin Henriette Vasarhelyi zum Beispiel entschied sich für Zsuzsa Banks Roman «Der Schwimmer» aus dem Jahr 2002. Und sie schreibt dazu: «Das erste Buch, das ich nach zehnjähriger Askese wieder lieben konnte, war Zsuzsa Banks «Der Schwimmer». Mit der hellblauen Schwimmbrille liess sich Autorin Vasarhelyi fotografieren. Andere Autorinnen und Autoren, die sich zum Mitmachen entschieden: Ariella Sarbacher, Meral Kureishy, Michael Elsener, Pablo Haller, Tanja Kummer. Gezeigt werden die «literarischen» Fotografien an der photoSCHWEIZ in Zürich-Oerlikon, einer grossen Werkschau für Fotografie in der Schweiz, an der rund 200 Profifotografen und Amateure ihre Werke zeigen.

Fotograf Dany Franzreb hat sich im spanischen Badeort Benidorm, «the birthplace of package tourism», umgeschaut und in einer Bilderserie das festgehalten, was so viele Touristen lockt und gleichzeitig so unerträglich abweisend aussieht: Hotel-Hochhäuser, eines nach dem anderen so weit das Auge reicht am Strand gebaut, Menschen im Wasser, so viele, das man meint, das Meer sei ein vollbesetztes Schwimmbecken. Franzreb ist Professor an der Hochschule Neu-Ulm und nicht nur ein ausgezeichneter Fotograf, er liefert auf seiner Homepage und auf einem Beiblatt in der Ausstellung noch Wissen nach, beschreibt die Abfolge der Touristengruppen in Benidorm, wo zuerst die Spanier ihre Strandferien verbringen und nachher die Touristen aus England und Deutschland.

Schriftstellerin Henriette Vasahelyi mit Schwimmbrille

Fotograf Giancarlo Cattaneo im Engadin nennt seine Fotoserie «Still Life in St. Moritz im Corona Lockdown 2020». Cattaneo lag während drei Wochen mit Covid19 im Krankenhaus von Samedan. Kaum war er genesen, hat er die Chance gepackt und die menschenleeren Strassen des mondänen Engadiner Ortes festgehalten. Kein Mensch ist auf seinen Fotos zu sehen, dabei hat er alle Bilder im öffentlichen Raum aufgenommen: leer die Tiefgarage, menschleer ist es auf den Bahnsteigen des Bahnhofs von St.Moritz, die Umfahrungsstrasse des Ortes leer, der grosse Verkehrskreisel autofrei! Mit dem Thema Pandemie beschäftigte sich auch die Zürcher Fotografin Sara Keller. Anders als bei Cattaneo sind auf ihren Bildern Menschen zu sehen. Menschen, die auf beiden Seiten eines Doppelzauns stehen, die nicht zueinander kommen dürfen, sich nicht gegenseitig anstecken sollten. Ist’s ein Krankenhaus-Areal oder der Zaun eines Altersheims, ist es die Grenze zwischen dem schweizerischen Kreuzlingen und dem deutschen Konstanz? Menschen mit Masken, Trennzäune, die grosse Paketflut des boomenden Onlinehandels ist da zu sehen und die neuen Distanzregeln, die den Boden vor den Einkaufsläden zieren: all das sind Themen ihrer Fotoserie.

Ivo Dominique Stalder, Fotograf in Zürich, verfolgt immer wieder das Thema «Ästhetik des Verfalls». An der Bilderschau der photoSCHWEIZ 2021 zeigt er Bilder aus einem geschlossenen Thermalbad. 1965 wurde das Bad eröffnet, im Jahr 2012 geschlossen. Eine Zeitlang ein beliebter Ort für Eventveranstalter, die hier Partys organisierten. Was bleibt sind Bäder in mehreren Varianten und Liegen, Wandkacheln und Holzimitat, Infotafeln mit abgeblätterten Buchstaben, vor sich hin rostende Wasserleitungen. Bilder von einem zerfallenden Ort, der nicht mehr genutzt wird. Das Bad, das Fotograf Stalder aufgenommen hat, steht mittlerweile nicht mehr, es wurde abgebrochen. Demnächst wird ein neues Bad dort eröffnet werden, Stararchitekt Mario Botta hat den Neubau entworfen.

Eingeworfen am 21.1.2024

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