Manmade Landscapes

Eine Wartehalle aus Beton irgendwo im Westen der USA

Autor: Michael Guggenheimer

Ich bin wahrscheinlich schon früher in einer Zeitung oder Zeitschrift einem Porträtbild begegnet, das der Zürcher Fotograf Tom Haller aufgenommen hat. Aber erst in der Ausstellung der IG Halle im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil mit dem Titel «weit» ist er mir mit seinen amerikanischen Aufnahmen aufgefallen. 

Ausstellungskurator Guido Baumgartner ist Hallers Fotografien bei der Planung seiner Ausstellung im Fotobuch «Nuggets. American Landscapes» begegnet. Um Hallers Aufnahmen herum baute Baumgartner das Ausstellungsthema «weit» mit Werken von weiteren sieben Künstlerinnen und Künstlern aus. Während bei der Fotostiftung Schweiz in Winterthur zeitgleich eine Auswahl von Robert Franks Amerika-Bildern in Schwarzweiss ausgestellt sind, sind Hallers Farbbilder amerikanischer Landschaften in Rapperswil zu sehen, auch sie alle analog aufgenommen und anders als bei Frank stets im Querformat. 

Landschaften? Ja, da finden sich im Buch «Nuggets» Landschaftsbilder. Mit einer Bisonherde, mit Hügeln in der Ferne, mit schroffen Felsen in einer Wüste oder mit Bergen in der rot-orange untergehenden Abendsonne. Tom Hallers Landschaften in der Ausstellung aber sind anders. Kann man sie als «Manmade Landscapes» bezeichnen? Stets spielt der Blick in die Weite des Landes eine Rolle. Und immer wieder sind es Bauten, die in der Landschaft stehen. Tankstellen, Flugfelder, Motels, Läden, die irgendwo unterwegs zwischen zwei Ortschaften erbaut, benutzt, irgendwann verlassen, dann vergessen worden sind. Es sind Bilder, die vieles offenlassen. Ist’s eine ehemalige Greyhound Station am Rande eines Flugfelds? Sind es Waschräume eines Freizeitparks? Eine hohe Tafel am Rande einer Überlandstrasse vermeldet, dass Roy’s Motel Cafe noch über freie Zimmer verfüge. Nur wurde wohl eine neue Strasse anderswo gebaut und fährt bei Roy keiner mehr vorbei, hält hier niemand mehr, wurde das Motel schon vor Jahren geschlossen. Nur die hohe Tafel ist geblieben. Ist’s ein Rodeogelände? Ist’s ein ehemaliges Kino? Eine längst nicht mehr bediente Tankstelle? Ein Friedhof für Flugzeuge der Air Force, wo den Düsenmaschinen die Räder weggenommen wurden und die Düsenjäger bäuchlings auf dem Sand liegen? Eine Radarstation im No man’s land, das umgekippte Dach einer Tankstelle und in der Ferne ein Riesentruck unterwegs  von einem Ort zum anderen. Vor sich hin rostende Autos, die absichtlich wohl irgendwo unterwegs liegen gelassen wurden. 24 HOURS steht auf der Fassade eines Gebäudes, hinter dem nur noch die weite Landschaft sichtbar ist. War’s eine Einkaufsmall? 

Eine grosse Mühle irgendwo im Westen der USA

Hallers Bilder sind präzis komponiert, es sind keine Schnappschüsse. Man stellt sich vor, dass er bei ausgedehnten Reisen durch den amerikanischen Westen immer wieder angehalten hat, zu Fuss die Umgebung dieser Zeichen von früher, dieser Bauten, die es im Zeitalter des Flugverkehrs nicht mehr brauchte, umrundet, erkundet hat, um sie dann zu fotografieren. Filmbilder fallen einem ein, Bilder amerikanischer Maler auch. Würde Fotograf Ansel Adams die USA heute auch so sehen? Würde man Edward Hopper heute eine Kamera in die Hand geben, würde er Hallers USA ähnlich anschauen? Die Weite, die Verlassenheit der Landstriche zwischen amerikanischen Kleinstädten hat Haller wunderbar eingefangen. Eine Melancholie kommt bei der Betrachtung seiner Bilder nicht auf. Eher eine Neugierde. Der Wunsch, Hallers Strecke auch abzufahren und zu sehen, ob diese Bauten noch stehen. Hier zu sehen meine beiden Lieblingsbilder der Ausstellung: Bonneville, Utah heisst das grosse Bild. Ist’s eine Mühle auf dem kleinen Bild?  Clovis, New Mexico lautet die Bildlegende. Mehr verrät sie nicht. Beide Bilder von Tom Haller. Der Bildband «Nuggets. American Landscapes» ist bei Scheidegger & Spiess, Zürich, erschienen. 

Begleitende Veranstaltungen in Rapperswil wie der Film «weit» von Gwendolin Weisser und Patrick Allgaieroder ein Konzert des Connaught Brass Quintetts ergänzen das Thema der Ausstellung.

Die Ausstellung «weit» der IG Halle mit Werken von Tom Haller, Ruth Maria Obrist, Dominique Teufen, Gian Häne, Hans Thomann, Bernadette Gruber, Esther Mathis, Gilgi Guggenheim ist im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil bis zum 7. Februar 2021 zu sehen. https://www.ighalle.ch/

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