Bilderwelten in Winterthur

Ein Blick in die Bücherregale der Fotobibliothek in Winterthur

Autor: Michael Guggenheimer

Vier Museen in der Schweiz widmen sich den vielfältigen Aspekten der Fotografie. Das Kameramuseum in Vevey, das Musée de l’Elysée in Lausanne und gleich zwei Museen in Winterthur. Wer sich für die Tendenzen in der heutigen Fotografie und für die Geschichte der Fotokunst in der Schweiz interessiert, dem bieten die Fotostiftung Schweiz und das Fotomuseum Winterthur, beide unter dem Namen „Zentrum für Fotografie“ vereint, wunderbare Ausstellungen. Weniger bekannt ist, dass die beiden Institutionen gemeinsam eine Präsenzbibliothek unterhalten, die für alle an der Fotografie Interessierte offen steht. Es ist die grösste Bibliothek in der Schweiz zum Thema Fotografie.

Im langen Gang neben dem Ausstellungssaal der Fotostiftung Schweiz befindet sich der helle Bibliotheksraum. Fotofreunde, die einmal den Raum betreten, bleiben hier lange an einem der Arbeitstische sitzen. Sie schieben die grossen beweglichen Compactusregale auseinander, schaffen sich einen Gang zwischen zwei Büchergestellen und holen sich Ausstellungskataloge, Monografien, Bücher zu den diversen Sparten der Fotografie und Zeitschriftenbände, um dann in Bild- und Textwelten zu versinken. Die Werke grosser Fotografen sind hier zwischen Buchdeckeln einsehbar: So etwa die beiden Amerikaner Ansel Adams und Diane Arbus, der Südafrikaner Roger Ballen, Modefotograf Erwin Blumenfeld, der Schweizer René Burri oder Kriegsfotograf Robert Capa: Die Liste der herausragenden Bildkünstler, deren Werke in Katalogen und Monografien in Winterthur vertreten sind, ist endlos lang. 

«Die Bibliothek des Zentrums für Fotografie in Winterthur deckt die Geschichte der Fotografie ab, dokumentiert das zeitgenössische Schaffen, lässt Forschungen nach thematischen Schwerpunkten zu und bietet mit theoretischen Werken die vertiefte Aufarbeitung des Mediums Fotografie an», heisst es auf der Homepage der Bibliothek. Hier kann man der Geschichte der Fotografie als Zeitdokument, als Kunstgattung oder als Technik so gut nachgehen wie nirgendwo sonst in der Schweiz. Wunderbar die alten Jahrgänge der längst untergegangenen zweisprachigen ‚Camera – Illustrierte Monatsschrift für die gesamte Photographie’, die in Luzern verlegt wurde und ein weltweites Renommee hatte. Wer sich die Zeit nimmt, um in Zeitschriften wie Life, National Geographic, Atlantis, DU, Der Alltag oder Camera zu blättern, der kann anhand der Inserate feststellen, wie Fotoapparate aus Deutschland und den USA bis zum Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts beliebt waren und wie sie in den 60er Jahren technologisch von den japanischen Marken überholt wurden. Wer im Dachgeschoss des Hauses seiner Grosseltern oder Eltern eine alte Exakta Varex, eine Finetta 99, eine Rolleiflex oder gar eine Schweizer Alpa ALNEA findet, der kann sich in der Fotobibliothek alle Details zur richtigen Handhabe der Kamera holen. 

Über 20’000 Werke und 30 laufende Zeitschriften werden hier geführt. Titel und Autoren der Bücher sind im Online-Katalog recherchierbar, eine Beschlagwortung der einzelnen Zeitschriftenbeiträge allerdings würde die Arbeitskapazität von Bibliothekar (und bildendem Künstler) Matthias Gabi übersteigen. Wer, so wie ich, mehrmals im Jahr die Ausstellungen der Fotostiftung besucht, der kann es nicht unterlassen, die Bibliothek aufzusuchen und in den neuen Ausgaben der ausgelegten Fotozeitschriften zu blättern. In einem gesonderten Schrankbereich befinden sich die sogenannten Rara, jene Bücher, die heute nur noch selten in Bibliotheken anzutreffen sind und deren Benützung nur in weissen Handschuhen erlaubt ist.

Der Museumsshop der Fotostiftung in Winterthur

Zwei Bücher haben es mir besonders angetan: Walter Mittelholzers „Abessinienflug. Mit der dreimotorigen Fokkker an den Hof des Negus Negesti“ mit vielen Fotografien und mit einem Vorwort des damaligen Bundespräsidenten Pilet-Golaz aus dem Jahr 1934. Das Buch darf nur mit weissen Konservatoren-Handschuhen berührt werden. Zudem ist es nicht erlaubt, das Buch auf eine Fotokopierglasplatte hinzulegen, weil es Schaden nehmen könnte. Und dann noch das Buch „Viviane Maier. Streetphotographer“, herausgegeben im Jahr 2011von John Maloof. Ein Buch, das zeigt, dass Ausbildung und Technik alleine nicht unbedingt genügen, um ein wirklich fotografisches Auge zu haben. Das Kindermädchen Viviane Maier aus Chicago hat mit tausenden von Bildern gezeigt, was ein fotografischer Blick ist und wie es sich entwickeln kann.

PS: Das Fotozentrum Winterthur befindet sich in zwei Häusern. In beiden, demjenigen des Fotomuseums und dem anderen der Fotostiftung befindet sich je ein Museumsshop, der für Fotobegeisterte stets schöne Überraschungen bereithält. Wer Fotobücher mag oder gar sammelt, für den sind diese beiden Shops sowie die Buchhandlung Never Stop Reading in Zürich Orte, die man gerne aufsucht und jedesmal gewiss mit einer neuen Publikation weiterzieht. Das kleinere Bild zeigt einen Blick in den Museumsshop im Haus der Fotostiftung Schweiz. (Der Beitrag ist zuerst erschienen bei buchort.ch) 

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