Angekommen: Ausländerinnen in der Schweiz

Eine der von Carolina Piasecki porträtierten Frauen

Autor: Michael Guggenheimer

Wie haben sie’s in der Schweiz? Die Thuner Fotografin Carolina Piasecki hat für ein Buch und eine Ausstellung vierzig aus dem Ausland stammende und in der Schweiz lebende Frauen befragt und fotografiert.

Berufsfotografin Carolina Piasecki lebt in Thun und stammt aus Augsburg. Kein Wunder, dass sie sich dafür interessiert, wie es anderen Frauen geht, die aus dem Ausland in die Schweiz zugezogen sind. «Als Fotografin mit deutschen Wurzeln teile ich mit ihnen das gleiche Schicksal, als Ausländerinnen in die Schweiz gekommen zu sein», sagt Carolina Piasecki. Ob die vierzig Frauen gut in der Schweiz angekommen sind? Sie sind jedenfalls angekommen und geblieben. Der Titel des Bild-Textbuchs, das sie zusammengestellt hat, lautet denn auch „Angekommen“. Jede der fotografierten und befragten Frauen hat die Fotografin zuhause aufgesucht. Sie hat ihnen Fragen zu ihren Biografien und zu ihrem Verhältnis zur Schweiz und zur Heimat gestellt, hat sich für ihre private und berufliche Situation interessiert, hat ihre Antworten digital und handschriftlich aufgenommen und sie – stets nach dem Gespräch – fotografiert. Herausgekommen ist ein Buch, dass von guter Integration und von Ambivalenzen dem neuen Land gegenüber erzählt.

Zu Beginn schaute sich Carolina Piasecki in ihrem nahen Umfeld um: Sie fragte aus dem Ausland stammende Freundinnen, Bekannte, Geschäftskolleginnen, Partnerinnen von Bekannten, ob sie sich eine Befragung und eine Porträtsitzung vorstellen könnten. Zuerst war die Idee da, Männer und Frauen zu interviewen und vor die Kamera zu setzen. Bei der Entwicklung des Buchkonzepts war ihr aber aufgefallen, dass man häufiger bei ähnlichen Befragungen auf Männer und ihre Karrieren achtet, weshalb sie das Konzept auf angekommene Frauen richtete. Den Ort in der jeweiligen Wohnung, an dem das Bild entstehen sollte, haben in der Regel die interviewten Frauen vorgeschlagen. Wenn er sich aus irgendeinem Grund als ungeeignet erwies, wählte die Fotografin einen passenden Hintergrund. Die Gespräche mussten abgetippt, die entstandenen Texte korrigiert werden. Dabei haben zwei befreundete Frauen geholfen. Die von Vanessa Simili sorgfältig redigierten Texte wurden den Interviewten vorgelegt. Manche Frauen haben das eine oder andere zu private Detail streichen lassen oder die eine oder andere Präzisierung noch eingebracht. Geführt wurden die Gespräche in mehreren Sprachen und stattgefunden haben sie im Umkreis von Thun und bis nach Neuchâtel und Basel. Beim Abtippen wurde darauf geachtet, dass die Ausdrucksweise möglichst nah an derjenigen der jeweiligen Frauen bleiben sollte.

Gestaltet wurde das Buch von Graphic Designerin Ursula Heilig. Jedes Interview beginnt auf einer sonst leeren und farbig unterlegten Seite mit einem Zitat aus dem nachfolgenden Gespräch oder mit einer Befindlichkeit der jeweiligen Frau. So lauten die kurzen einleitenden Sätze etwa: «Jetzt ist meine Heimat hier und wenn ich Heimweh habe, nehme ich den Flieger und gehe nach Finnland». Oder auch «Ich bin hier daheim, auch wenn meine Wurzeln in Afrika sind». Dass die Schweiz so anders ist als die jeweiligen Ursprungsländer der Interviewten, wird immer wieder deutlich: «Bern ist ein Dorf für mich, ich komme aus einer 22-Millionen Stadt», sagt eine Zugezogene aus Mexiko-City. Und auch wenn sie sich in der Schweiz wohlfühlt, gibt eine aus Eritrea Zugewanderte zu verstehen « Ich würde nie behaupten, dass ich Schweizerin bin». Ob die Fotografierten Heimweh haben, fragt man sich beim betrachten der Bilder und stellt beim Lesen fest, wie häufig die Sehnsüchte nach der ersten Heimat an Gerüchen und Speisen hängen.

Eine von Carolina Piasecki porträtierten Frauen

Von wo die Porträtierten kommen? Aus so verschiedenen Ländern wie Brasilien und China, aus Tschechien und der Ukraine, aus Italien, Syrien oder Thailand. Sie sind einem Schweizer Mann gefolgt, den sie in den Ferien kennengelernt haben, sie haben eine Arbeit gesucht und eine Stelle in der Schweiz gefunden, sie sind geflohen, weil in ihrem Land Krieg oder Bürgerkrieg herrschte. «Ich fühle mich eingequetscht zwischen zwei Kulturen» gibt eine Frau aus China zu Protokoll. Und eine aus Rumänien Zugezogene sagt: «Die Sprachbarriere war ein sehr grosses Hindernis – oft war da eine Stille».

Man kann sich beim Lesen der Texte und Anschauen der Bilder gut vorstellen, wie ein solches Buch oder eine Ausstellung mit den Bildern und Texten Gespräche unter Zugezogenen und Einheimischen zum Thema Migration und Ankommen im neuen Land auslösen können. Die Bilder hat Carolina Piasecki nämlich nicht nur im Buchformat publiziert. Es gibt sie auch im grossen Plakatformat, mit dem auch Ausstellungen durchgeführt werden können. Eine erste Ausstellung konnte vor kurzem in der Münsterbibliothek in Bern durchgeführt werden. Es sollen weitere Ausstellungen in Zürich und St.Gallen sowie in Basel folgen. Noch sucht Fotografin Piasecki weitere Ausstellungsorte und fügt an: «Das Buch wie auch die Ausstellung sollen inspirieren, sich mit Menschen und Kulturen auseinanderzusetzen und für interkulturelle Begegnungen offen zu sein. Mit meinem Engagement kämpfe ich dafür, dass Vorurteile oder gar Abneigung in unserer Gesellschaft keinen Platz haben dürfen.»

„Angekommen“ ist nicht die erste Buchpublikation von Carolina Piasecki. Dem Thuner Aare-Flussbad Schwäbis mitten in der Stadt hat sie 2015 einen Bildband gewidmet. Sie hat das 1869/70 erbaute Bad über ein Jahr lang in den Fokus genommen und dabei die verschiedensten Stimmungen eingefangen.

Beide Bilder auf dieser Blogseite stammen aus dem Buch «Angekommen» von Carolina Piasecki. ISBN 978-3-033-10004-6. Buchformat 20 x 15 cm, 230 Seiten, gebunden mit Umschlag, CHF 40.00. Weitere Infos über die Fotografin und ihre Arbeiten: https://www.blende.ch/

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