Sammler ohne Sammlung

Ein Zaunisolator aus der Sammlung von Patrik Fuchs

Autor: Michael Guggenheimer

Patrik Fuchs ist ein Sammler von Objekten, denen er auf dem Land begegnet. Er ist ein Sammler ohne Sammlung und kann einzelne Objekte seiner Sammlung dennoch in einem Museum ausstellen.

Patrik Fuchs ist Fotograf in Zürich. Auftragsfotograf. Architekturbüros, Warenhäuser, Zeitschriftenverlage, Banken, Einkaufsgenossenschaften, Uhrenhersteller gehören zu seinem Kundenkreis. Patrik Fuchs ist zudem auch noch künstlerischer Fotograf. Einen Einblick in die freie Sparte seiner Arbeiten gewährt bis zum 5. November die Gruppenausstellung der IG Halle mit dem Titel «frei» im Kunst(Zeug)Haus in Rapperswil. Fotograf Fuchs ist auch ein Sammler. Einer, der eine Reihe von Objekten gezielt sammelt, ohne, dass sein Sammelgut Stauflächen oder Lagerraum benötigt. Denn seine gesammelten Objekte fotografiert er und zeigt sie auf Bildern.

Schneezeichen sammelt er. Schneestecken heissen sie auch. Das sind jene Stangen aus Holz, die im Winter in den Bergen am Rande von Pass- und Bergstrassen im hohen Schnee Autofahrern den Weg weisen sollen, insbesondere den Strassenrand auf der talwärts abschüssigen Seite. 250 solche Schneestangen hat Fuchs gesammelt und einzeln fotografiert. Drei solche hohe Stangen, sie sind vom Wetter vieler Winter gezeichnet, lehnen an einer Wand in seinem Atelier, in einem ehemaligen Lagerhaus. Alle die übrigen sind auf Papier zu sehen. Dünne Stangen, zumeist aus Holz, die stets mehrfarbig bemalt sind. Eine eidgenössische, eine gesamtschweizerische Ordnung weisen die gemalten Partien dieser Wegzeichen nicht auf. Mal sind sie gelb und rot angemalt, ein anderes Mal blau und grün. In jedem Kanton, in jeder Gemeinde herrscht da im Werkhof künstlerische Freiheit. Der Niggli Verlag in Sulgen hat 2015 eine Sammlung von 65 solcher Fotos in einem eleganten Schuber herausgegeben.

Patrik Fuchs stammt aus dem Toggenburg und lebt seit vielen Jahren in Zürich. Aber es zieht ihn immer wieder aufs Land, auch wenn er nicht mehr auf dem Land wohnen wird. Das Land ist eine Erinnerung, die nicht verglüht. Gerade das urbane Leben habe ihn fürs Ländliche sensibilisiert, sagt Fuchs. Das Land sei voller Zeichen von einst, die langsam verschwinden und die der Fotograf wahrnimmt, ohne sie zu suchen. Zum Beispiel die Isolatoren, die den elektrisch geladenen Draht, den Schreckzaun, verbinden, der die weidenden Kühe davon abhalten soll, ihre Weide zu verlassen. Fuchs holt in seinem Atelier eine grosse Schachtel herbei, in der viele, sehr viele, Isolatoren einzeln mit Angabe des Fundorts in durchsichtigen Plastiksäckchen verpackt sind. Es sind nicht fabrikneue Isolatoren. Sie sind gebraucht, sie weisen Spuren auf, Kratzer, Einschlagstellen, Malerfarbe, manchmal sogar Moos und Erde. Bauern, die er kennt, haben ihm ausgediente Isolatoren gegeben. Andere hat Fuchs sorgfältig abmontiert, hat dafür gesorgt, dass die jeweiligen Drähte weiterhin korrekt verbunden sind und hat sie mit in die Stadt genommen und fotografiert. Eckig und rund, leuchtend Rot und Grün, Blau und Gelb sind sie überdimensioniert gross auf dem Papier zu sehen. Patrik Fuchs setzt sie nicht zueinander in Beziehung. Auf jedem Bild nur ein Isolator, ganz streng geht er da vor. Und alle diese Objekte werden im Atelier gleichwertig behandelt. Wie Schmuckstücke aus der Werkstatt einer Schmuckmacherin wirken sie. Und sie können nicht mehr zwicken. Man schaut sie an und staunt zusätzlich über die vielen Formen dieser so einfachen Objekte. Der Zaunisolator auf der Einladungskarte zur Ausstellung wirkt zuerst so, als handle sich hier um eine moderne Tabakpfeife. René Magritte hätte seine Freude an dieser Pfeife.

Patrik Fuchs strebt keine Vollständigkeit in seinen Sammlungen an. Seine Sammlungstätigkeit verläuft eher intuitiv. Wenn er in den Wäldern wandert, fallen ihm zum Beispiel die vielen so unterschiedlich zusammengezimmerten Vogel-Nistkästchen auf. Es sind weniger die seriell hergestellten Nistkästchen, die ihn anziehen. Vogelfreunde, Ornithologen und Vogelbeobachter stellen ausgefallenere Kästchen aus Holz und anderen Materialien her. Die schönsten, die er antrifft, fotografiert er und zeigt einige in der Ausstellung im Kunst(Zeug)Haus. Fotograf Fuchs versichert, dass er die Kästchen nicht sucht, sie fallen ihm einfach auf, es ist so, als würden sie ihn suchen. Oder anders ausgedrückt: Sein Blick ist auf Gegenstände geeicht, sie fallen ihm auf, so wie Mitwanderern anderes auffallen würde.

Patrik Fuchs im Atelier mit einer seiner Schneestangen

Wer Patrik Fuchs’ Fotos anschaut, dem kann es passieren, dass er später Objekte wahrnimmt, die ihm zuvor nicht aufgefallen wären. Zwei Tage nach dem Besuch im Atelier von Patrik Fuchs entdecke ich in Altdorf auf dem Weg vom Bahnhof zum Gemeindehaus an einem Gartentor und auf einem Baum zwei arg verschrumpelte Reste von Luftballons und erinnere mich an die Fotos verletzter, gebrauchter Luftballons, die ich im Atelier  von Fotograf Fuchs gesehen habe. Und noch eine weitere Sammlung weist Fuchs’ Bilderwelt auf: Ihr Titel lautet «Projektile». Als Jugendlicher hatte Fuchs im Toggenburg an einem Schiesstand an schiessfreien Tagen mit Freunden Reste von Projektilen gesammelt. Es sind nicht die Patronen, sondern jene deformierten Teile, die mit grosser Geschwindigkeit in Richtung der Zielscheibe geflogen sind, sie aber nicht erreicht haben. Was manchmal bloss fingerkuppengross ist, sieht auf den Fotos mysteriös aus. Sind es Anhänger von Halsketten, fragt man sich beim ersten Hinschauen.

Fuchs schöpft Bild- und Sammelinspirationen aus Erinnerungen. Das Leben in der Stadt hat ihn sensibilisiert für das, was es auf dem Land zu sehen gibt. Fuchs ist kein Nostalgiker. Sein Blick ist offen für das Vergangene und Vergehende. Alte Ställe, Unterschlupf für Tiere oder Material hat er fotografiert, alle von der Wetterseite her. Die Häuser wirken wie Traumbilder. Fuchs achtet beim Aufnehmen, dass diese Bauten möglichst ohne Hintergrundlandschaft auf der Fotografie zu sehen sind, also nicht am Hang stehen, damit der Blick des Betrachters nicht auf andere Bilddetails abgelenkt wird.

Fotografien von Patrik Fuchs sind in der Ausstellung «frei» der IG Halle im Kunst(Zeug)Haus in Rapperswil vom27. August bis zum 5. November zu sehen. «frei» ist der Abschluss der im Jahr 2020 begonnenen Ausstellungstrilogie «weit – wild – frei». Schönbodenstrasse 1, 8640 Rapperswil. www.ighalle.ch Patrik Fuchs’ Homesite: https://www.patrikfuchs.com/

Eingeworfen am 23.8.2023

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte Sie auch interessieren