Lucia Frey und Bruno Kuster sind Fotografen und Visuelle Gestalter in Zürich. Oder präziser noch: wieder in Zürich. Vor fünf Jahren sind sie nach Aufenthalten auswärts über Luzern in Zürich wieder angekommen. Ihr Atelier befindet sich ganz nah beim Idaplatz an der Zurlindenstrasse. Zwei Schaufenster, ein grösseres und ein kleineres. Was man in den beiden Schaufenstern sehen kann: Ansichtskarten und Fotos in unterschiedlichen Formaten, die sie beide unterwegs in der Schweiz oder im Ausland aufgenommen haben, zum Teil gebündelt zu Sets.
Man steht vor den beiden Schaufenstern, schaut sich Architekturaufnahmen, Bergbilder und Pflanzenfotos an und erst dann bemerkt man die beiden hinter den Schaufenstern , die sich gegenüber sitzen, an ihren Computerbildschirmen an der Arbeit. Bleibt man etwas länger am Schaufenster stehen und schaut sich die ausgestellten Bilder an, kann es passieren, dass Lucia Frey von ihrem Arbeitsplatz aufsteht, die Türe öffnet und einen einlädt, im Atelier weitere Bilder anzuschauen. Man betritt das Atelier und realisiert, dass man sich in einer Fotogalerie mit Wechselausstellungen befindet.
Atelier und Galerie also. Derzeit lehnen an den Wänden der Ateliergalerie lauter Bilderpaare. Es sind Bilder, die die beiden in den letzten fünf Jahren in Zürich aufgenommen haben. Man schaut sie sich an, erkennt – weil man Zürich kennt – das eine oder andere Fotomotiv. Und weil man von zwei Bildern gerne wissen möchte, wo genau sie aufgenommen wurden und was sie zeigen, kommt man schnell in ein längeres Gespräch mit den beiden.
Gewissermassen um sich nach Jahren der Abwesenheit wieder in Zürich zuhause zu fühlen oder um sich in der Stadt wieder zurechtzufinden, die sich in den letzten Jahren stark verändert hat, haben die beiden nach ihrer Rückkehr angefangen, Zürich auf Spaziergängen zu erkunden. Stets war die Leica dabei und bei jedem Gang durch die Quartiere der Stadt fotografierten sie beide. 3000 Bilder von Zürich sind der Zeitspanne von fünf Jahren entstanden. 348 Zürich-Fotografien haben vor kurzem Platz gefunden in einem dicken Fotoband mit dem Titel «Zürich Stadtbilder – Urban Portraits». Wohlgemerkt: «Stadtbilder», nicht Fotografien. Wer von den beiden welche Bilder gemacht hat, erfährt man beim Durchblättern nicht. So sehr von einem Guss, so sehr in einer Foto-Handschrift sind die Bilder.
Die beiden, Buchgestalterin und Buchgestalter, Fotografin und der Fotograf, treten unter dem gemeinsamen Namen Kuster Frey auf, die Vornamen treten bei den Arbeiten in den Hintergrund. Das Buch mit den Stadtbildern ist ein gemeinsames Werk und die erste Publikation ihres gleichnamigen Verlags, den sie mit der Herausgabe des Bildbands gleich gegründet haben. Nicht nur fotografiert und die Bilder ausgewählt und zu Bilderpaaren zusammengestellt haben die beiden. Auch die Gestaltung des Buchs haben sie übernommen. Buchgestaltung in den Bereichen Architektur, Wissenschaft und Handwerk ist schon lange ein Aufgabenfeld, in dem sie sehr bewandert sind und ausgezeichnet wurden.
Was beim Blättern zuerst auffällt. Die Bilder alle im Hochformat. Die Bilder stets als Paare präsentiert. Die Bilder in Farbe. Die Altstadt von Zürich, die touristischen Highlights, Grossmünster und Fraumünster, den See und den Hausberg der Stadt sucht man vergebens. Nein, ein Versehen liegt hier nicht vor. Den beiden ging es nicht um eine weitere Schönwetter-Tourismus Publikation. Deren gibt es genug. Menschen und Autos muss man im Buch suchen und findet sie kaum. Dafür sieht man, wo die Menschen in Zürich wohnen, arbeiten, zur Schule gehen. Und man staunt über die vielen Bäume, über das viele Grün dieser Stadt, das einem auf den Bildern begegnet.
Es sind vornehmlich Häuser, Wohnbauten, Hausfassaden, Parkanlagen, die einen anschauen. Häufig mittelaxial aufgenommen: Ein Baum, ein Kran, eine Laterne, ein Pfeiler, ein Kamin, ein Hochhaus in der Ferne mittig platziert. Die Graphic Designer haben Stadtbilder komponiert. Beim Aufnehmen, dann wieder beim Ordnen und Platzieren. Gesehenes, Gefundenes haben sie nicht «einfach so» fotografiert. Bei vielen Bildern spürt man einen Suchprozess: Von wo genau soll ich mir ein Bild machen, scheint eine Frage gewesen zu sein. Eindeutig stets mit derselben Optik aufgenommen, keine Zoomaufnahmen, keine Wechselobjektive im Einsatz. Und die beiden Fotografen gehen auf Details ein, kaum ein Haus, das in seiner ganzen Höhe abgebildet ist. Die Bilder eine Sehschule für Details, dort wo die Stadt sich nicht von ihrer spektakulären Seite zeigt. Das Buch eine Sehschule der Aufmerksamkeit und des langsamen Hinschauens. Wohltuend: Bildlegenden fehlen auf den Foto-Doppelseiten. Man schaut Fotos an und erinnert sich vage, jenes Haus oder jenen Hof doch schon gesehen zu haben. Nur wo denn? Winzige Zahlen unter den Bildern auf den rechten Seiten verweisen auf ein Verzeichnis der Strassen hinten im Buch. Mehr als die Adresse wird zu den Bildern nicht verraten. Das Vorgehen bietet Platz für eine Suche oder auch für Geschichten zu Bauten, die man erfinden kann.
Was auch auffällt: Die Bilder sind wohl zumeist frühmorgens und an Sonntagen entstanden. So zumindest die Vermutung, wenn man die menschenleeren Strassen sieht. Und sie sind an bewölkten Tagen aufgenommen worden. Nirgendwo Sonnenuntergänge, nirgendwo Bilder, auf denen man beim Fotografieren hätte von der Sonne geblendet sein können. Die Farben Grün und Blau wirken zumeist etwas blass, wie wenn sie zurückgehalten worden wären, was den Bildern eine Ruhe verleiht. Stille Bilder, die Details aufzeigen. Man erinnert sich, den Bildband «Plötzlich diese Leere» gesehen zu haben, in dem Fotos von Plätzen zu sehen waren, auf denen kein Mensch und kein vorbeifahrendes Auto zu sehen sind, denn sie wurden zu Beginn des Corona-Lockdowns aufgenommen, als man dazu aufgefordert wurde, wenn möglich zuhause zu bleiben. Fotograf Daniele Lupini aus Baden war damals von einer Schweizer Stadt zur nächsten gefahren, um mit Weitwinkel Objektiven menschenleere Plätze zu fotografieren.
Dass Kuster Frey nur während des Lockdowns fotografiert hätten, kann man sich nicht vorstellen. Sie sind Stadtentdecker, denen das Spektakuläre nicht liegt und die den genauen Blick anwenden. Genau schauen sie hin. Die Bildpaare, die sie für das Buch gewiss in langer Sucharbeit gebildet haben, sind mal sich ergänzend, mal gegensätzlich, mal schön farbig abgestimmt. Es sind spannende Paarungen, die hier gebildet wurden. Kuster Frey haben in ihrem Berufsleben viel Architekturfotografie betrieben. In ihrem Buch «Zürich Stadtbilder – Urban Portraits» handelt es sich nicht um Architekturfotografie. Ihre Sehweise? Zwei Stadterkunder entdecken unspektakuläre Strassen. Häuser, Plätze, Gärten, Fassaden, Bäume. Ihre Kamera wird stets auf derselben Höhe gehalten, schaut nicht nach unten oder nach oben sondern stets auf Augenhöhe nach vorne. Das mögen manche Betrachter als zu ruhig empfinden, ist aber eine der Qualitäten des Bilderbuchs.
Zürich. Stadtbilder – Urban Portraits, erschienen in der Edition Kuster Frey. Mit Texten von Fanni Fetzer, Susanna Koeberle und Christian Seiler. 380 Seiten, 348 Fotografien. Beide Doppelbilder aus dem vorgestellten Buch. Fotogafiert von Kuster Frey.
Eingeworfen am 15.9.2024
Sehr spannend! Ich fotografiere zwar nicht selber aber kann mich sehr für das Thema begeistern. Vor allem Architektur-Fotografien finde ich sehr toll, weil sie meistens so imposant und machtvoll aussehen. Das liegt vermutlich auch daran, dass ich mich so sehr für Gebäude interessiere. Letztens hatte ich auf der Arbeit das Glück an einem denkmalgeschützten Herrenhaus das Dach renovieren zu dürfen, was sich zwar in schwindeliger Höhe befand, weshalb wir auch eine recht hohe Hebebühne organisieren mussten, aber an dem Haus zuarbeiten war toll! Ich finde es auch schön, dass die beiden sich nicht so auf touristische Orte beziehen, sondern auch die anderen schönen Ecken Zürichs fotografieren 😊