Bilder unsichtbarer Grenzen

Ein Int>érieur in Teheran

Autor: Michael Guggenheimer

Grenzen sind das Thema der Ausstellung «Ars Termini» im Kunst(Zeug)Haus in Rapperswil, die Kurator Guido Baumgartner zusammengestellt hat. Die Schau ist benannt nach dem mythologischen römischen Gott Terminus, der zuständig war für Grenzen und Grenzsteine. Eine Fotografin und ein Fotograf zeigen hier Grenzen, auf die man kaum gekommen wäre.

Bahnreisende unterwegs nach Berlin kennen das: Man schaut zum Fenster hinaus und will jenen Punkt entdecken, an dem die Grenze zwischen Ost und West verlaufen ist. Keine einfache Aufgabe, weil sich in mehr als dreissig Jahren so vieles verändert hat. Einfacher ist’s etwa die Grenze zwischen der Schweiz und Österreich zu finden, der Rhein als Staatsgrenze macht’s möglich. Der Schweizer Fotograf Roger Eberhard hat weltweit Orte fotografiert, die einst eine Grenze bildeten. Darunter auch solche Grenzen, die verschwunden sind, weil Länder sich aufgelöst oder neue gebildet haben. Zu den Grenzen, die Eberhard aufgesucht hat, gehören u.a. die frühere innerdeutsche Grenze zwischen der Bundesrepublik und der ehemaligen DDR, der römische Hadrianswall, nahe der heutigen Grenze zwischen Schottland und England oder Grenzverläufe zwischen Palästina und Israel sowie jene zwischen Chile und Bolivien. Eine seiner Fotografien – im kleinen Bild zu sehen – zeigt den Ecker Damm, eine hohe Staumauer im Harz in Deutschland. Was man nicht sieht: Quer durch die hohe Betonmauer verlief die Landesgrenze zwischen den beiden deutschen Staaten, was dem Unterhalt der Anlage gewiss nicht förderlich war. Eberhard hat Fotos von beweglichen, sich verändernden Grenzen gemacht. Extreme Wetter und natürliche geologische Veränderungen, das zeigen seine Bilder, können Grenzverläufe ebenso verändern wie kriegerische Auseinandersetzungen. Eberhards Ziel war es, zu zeigen, wie Linien auf einer Landkarte in der Realität verblassen, sich bewegen oder überwachsen werden. So fotografierte er nur Orte, an denen sich die Grenzen verändert haben, verschwunden sind oder an denen die Länder, die früher aneinander grenzten, gar nicht mehr existieren. Die informativen erläuternden Bildtexte in der Ausstellung konfrontieren die Besucher*innen mit Episoden der Geschichte von Regionen, die man längst vergessen oder verdrängt hat.

Während Eberhards Bilder Landschaften zeigen, hat die deutsche Fotografin Beatrice Minda subtile unsichtbare Grenzen in Häusern im Iran und Rumänien fotografiert. In der Ausstellung in Rapperswil ist eine Auswahl aus ihren Arbeiten im Iran zu sehen. Grenzen, über die man sich selten Gedanken macht, haben Beatrice Minda in ihren Fotostudien wiederholt fasziniert. Ihr ging es nicht um Landesgrenzen sondern um Grenzen zwischen öffentlichem Aussenraum und abgeschottet privatem Innenraum in Teheran, Shiraz, Yazd und Qazvin . Es sind Aufnahmen aus traditionell gestalteten ehemals vornehmen Häusern, in denen manche Räume für Gäste verschlossen blieben, weil sie ausschliesslich den Besitzern vorbehalten waren, nur von ihnen bewohnt wurden. Dass manche Aufnahmen in Häusern aufgenommen wurden, die nicht mehr bewohnt zu sein scheinen, hat damit zu tun, dass die ursprünglichen wohlhabenden Bewohner aus den alten Innenstädten in moderner ausgestattete Häuser umgezogen sind und ihre alten Domizile  anderen Leuten zur Verfügung gestellt haben, um den Verfall oder die Konfiszierung der Gebäude zu vermeiden.

Mitten durch diesen Staudamm verlief die innerdeutsche Grenze

Menschen sind auf Beatrice Mindas Fotografien nicht zu sehen. Im Iran hat sich in den Jahrzehnten seit Ende der Herrschaft der Pahlawis so vieles verändert. Minda, die dreimal im Iran auf Reisen war,  suchte nach Räumen, in denen man noch etwas von früher finden konnte. Zu jedem ihrer Intérieurs gehört auch ein kurzer beschreibender Text. Bilder, die eine Ruhe ausstrahlen, manche wirken meditativ. «Radikaler als anderswo wird im Iran der private Innenraum vom öffentlichen Aussenraum getrennt», erläutert Minda. «Früher waren die traditionellen Häuser der Wohlhabenden folgendermassen aufgeteilt: Es gab Gebäude- und Hofbereiche, die für den Empfang und die Bewirtung von Gästen bestimmt waren. Die privat genutzten Höfe und Gebäude lagen in den hinteren Teilen des Anwesens. Beide Bereiche wurden unterschiedlich bezeichnet».

Die Ausstellung «Ars Termini» der IG Halle im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil dauert bis zum 3. November 2024. Öffnungszeiten im Netz unter ighalle.ch. «Human Territoriality» heisst ein Bildband zu Roger Eberhards Aufnahmen, erschienen im Verlag Patrick Frey,  «Iran Interrupted» heisst die Publikation zu Beatrice Mindas Fotografien, herausgegeben vom Hatje Cantz Verlag.

Und dann noch: Unter dem Titel „Iran – Porträt eines Landes“ zeigt das Zürcher Museum Rietberg in der Park Villa Rieter eine Ausstellung, die dem Fotografen Anton Sevruguin (1851 – 1933) gewidmet ist.

Eingeworfen am 3.9.2024

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