Den Blick etwas nach oben, bitte

Fotos von Fotografinnen und Fotografen, die gerade daran sind, mit ihren grossen Kameras und schweren Objektiven ein Porträtbild zu machen. Franz Hohler hat viele solcher Fotografien.

Wenn sie vor einer Profifotografin oder -fotografen fotografiert werden, dann wird es den meisten Personen etwas unbehaglich: Wie soll man stehen oder sitzen, wohin sollen man mit den Händen und wohin genau soll man blicken? Soll man lachen oder gerade nicht? Soll man sprechen oder schweigen? Und ist man für die Aufnahmen auch richtig angezogen? Schon vor dem Treffen mit der Fotografin wusste man nicht, welches Hemd oder Bluse anziehen, welche Farben wählen.

Einer, der die Situation vor der Kameralinse von Berufsfotografen sehr gut kennt, ist der Schweizer Schriftsteller Franz Hohler. Erscheint ein neues Buch von ihm, will der Verlag für begleitende Werbezwecke und für das Buchcover ein neues Porträt einsetzen. Findet ein Zeitungsinterview mit ihm statt, will die Journalistin oder der Journalist zum Text ein aktuelles Bild des Autors haben. Franz Hohler, vor kurzem achtzig Jahre alt geworden, hat eine lange Erfahrung mit Porträtsitzungen. Immer wieder ist er in seinem Schreibzimmer in Zürich schon fotografiert worden.

Hohler ist bei allem Ernst mancher seiner Bücher ein witziger Mann. Während sich sein fotografierender Besuch auf die Porträtsitzung vorbereitet, das passende Objektiv ans Kameragehäuse eindreht, nimmt Hohler seine kleine Kamera hervor. Und kurz bevor die Profifotografin oder der Profifotograf mit einer digitalen Kamera in grosser Geschwindigkeit  10, 20 oder gar 30 Aufnahmen schiesst, richtet Hohler seine Kamera auf den Fotografierenden und klickt sein Bild, auf dem häufig übergross die Linse zu sehen ist, die ihn anvisiert. Manchmal ist nur die ihn anstarrende Kamera auf dem Bild zu sehen, vielleicht noch die Hände des Fotografen. Ich weiss nicht wie viele solche Aufnahmen Hohler von den ihn besuchenden Fotografen gemacht hat. Es müssen viele gewesen ein. Und es sind witzige Aufnahmen, denn vom Gesicht der Porträtisten ist in der Regel kam etwas auf Hohlers Foto zu sehen, denn sie alle halten gerade die Kamera vor ihrem Gesicht, schauen Franz Hohler an, ohne selber wirklich gesehen zu werden.

In der christkatholischen Stadtkirche der Stadt Olten zeigt Hohler bis zum 5. November eine Bilderauswahl seiner Porträtisten, wobei seine Bilder Details zu Körperhaltungen und zu Aufnahmepositionen von Fotografen verraten: Die einen knien, andere setzen sich auf einen Stuhl, wieder andere nehmen eine Position ein, als würden sie gleich zu einem 100 Meter Lauf starten. Manche arbeiten mit einem Stativ, andere bringen Scheinwerfer mit, mit denen Hohlers Bibliothek besser ausgeleuchtet werden soll.

Ich habe versucht, mir bekannte Fotografinnen und Fotografen, die Hohler porträtiert haben, auf Hohlers Gegenbilder zu erkennen. Ohne Erfolg. Alle halten sie mit der linken Hand den Objektivring, an dem sie eine letzte kleine Drehung vornehmen. Mit dem rechten Zeigefinger wird der Auslöseknopf gedrückt. Was auffällt: wie schwer die benutzten Kameras aussehen, wie gross die Objektive sind. Das Surren oder Klicken des Kameramotors ist in den Fotos nicht zu hören. Franz Hohler, wunderbarer Erzähler seiner Geschichten, könnte die Verschlussgeräusche gewiss wunderbar nachmachen.

Franz Hohler ist ein aufmerksamer Beobachter und Zuhörer. Zu seiner Ausstellung fotografierender Porträtisten gehört eine Liste jener Sätze, die Fotografen während der Porträtsession ihm gesagt haben. Es sind Aufforderungen, sich so oder anders hinzusetzen, hinzustellen, dreinzublicken oder in die Ferne zu schauen, sich in diese oder jene Position zu begeben. Wenn möglich soll auch ein Bücherregal im Hintergrund zu sehen sein. Es sind Aufforderungen, dank denen die Bilder noch besser, noch echter, noch spontaner, noch treffender, noch lebendiger sein sollen, auch wenn sie alle alles andere als spontan sind : «Nicht direkt in die Kamera schauen, bitte», sagt eine Fotografin. Und ihr Kollege einige Tage später sagt: «Den Blick ein bisschen nach oben, bitte». Hohler hat schon häufig den Satz «Ein kleiner Schritt nach links, bitte – schon zuviel, so ist es gut, ja», gehört oder auch den: «Darf ich diese Lampe etwas nach links verschieben?». Wie lästig, wenn es heisst: «Ihr Zeigefinger deckt die Lippen etwas zu». Eine lange Liste von Aufforderungen hat Hohler gesammelt. Man liest diese Aufforderungen und erinnert sich an den Besuch beim Augenoptiker, der auch seine immergleichen  Standardsätze sagt: « So oder so?», «»Ist’s so besser oder so?», «Vorher besser oder jetzt?».

Franz Hohler ist nicht der einzige Künstler aus der Schweiz, der seine Gegenüber fotografiert. Rockmusiker Hardy Hepp hat jahrelang seine Besucher in einem Prättigauer Dorf mit einer Kamera überrascht: Standen sie vor der Haustüre und läuteten sie, konnten sie nicht ahnen, dass beim Öffnen der Haustür zuerst eine Kamera  zu sehen sein wird, die blitzschnell vom noch etwas verdutzten Besucher eine Aufnahme machen würde. Hepp hatte so eine grosse Galerie all seiner Besucher zusammengestellt.

Franz Hohler wird in seinem Schreibzimmer fotografiert

Die Ausstellung in Olten zeigt einen Aspekt von Hohlers Aktivitäten, die man als Leser seiner Bücher nicht kannte. Hohler als Fotograf. Da ist noch zusätzlich eine Sammlung von Alltagsfotos, die er mit einer digitalen Kamera in den letzten Jahren aufgenommen hat. Sonnenuntergänge und -aufgänge, Baustellen in der Stadt, Tiere, Berge und Berggipfel, Stillleben, Wolkenformationen. Und zu manchen seiner Wander- oder Spazierbücher passend Wege allerlei Art: Treppen, Wanderwege, Pfade, Waldstrassen. In Themengruppen aufgeteilt sind sie in der Ausstellung zu sehen. Zu manchen Fotografien schreibt Hohler auch kurze Texte, drei solcher Text-Bildpaare sind in Olten auch zu sehen. Hohler fotografiert seit Jahrzehnten schon. Eine Auswahl von schönen schwarzweissen Bildern aus den fotoanalogen 70er Jahren sind Familienbilder, Fotos von Freunden, die bei ihm und seiner Frau Ursula zu Besuch waren: Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Kunstschaffende aus den verschiedensten Bereichen und die eigenen Kinder. Der junge Autor Peter Bichsel ist auf einem dieser Bilder zu sehen: Er öffnet mit kräftiger Bewegung eine Haustür, wirkt etwas atemlos. Oder Musiker und Liedermacher Hannes Wader mit Gitarre am Strassenrand wartend auf einen Autofahrer, der ihn irgendwohin mitnehmen könnte? Der noch junge Fotograf Christian Altorfer schaut die Besucher von einer Fotografie aus an. Noch wusste er in den 70er Jahren nicht, dass er in den 2020er Jahren immer noch offizieller Fotograf des Zürcher Theaterspektakels sein wird. Dorli Meier, die Frau von Schriftsteller Gerhard Meier, ist in ihrem Zeitschriftenkiosk in Niederbipp zu sehen. Als Abschluss der Bilderserie dann ein Bild, das Ursula Hohler von ihrem tanzenden Ehemann aufgenommen hat.

Die Ausstellung auf den beiden Emporen der Christkatholischen Kirche Olten (neben dem Kunstmuseum an der Kirchgasse 2 im Stadtzentrum) dauert bis zum 5. November und ist Teil mehrerer Ausstellungen aus Anlass des 80. Geburtstags von Franz Hohler.  Beide Bilder auf dieser Seite von Franz Hohler.

Eingeworfen am 21.1.2024

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