«Er war der René Burri von Appenzell». So charakterisiert Fotograf Thomas Biasotto den im Alter von 78 Jahren im vergangenen November verstorbenen Fotografen Emil Grubenmann. Ein Glücksfall, dass die beiden sich vor 6 Jahren begegnet sind. Biasotto, der die Fotogalerie Ink in Appenzell betreibt, hat vor wenigen Monaten den in Deutschland lebenden Grubenmann dazu überreden können, seine Fotografien von Menschen aus Appenzell bei Ink auszustellen. Grubenmann brachte die Negative von 600 Schwarz-Weiss Filmen mit in die Schweiz und bereitete mit Hilfe von Biasotto eine Ausstellung vor. Die Ausstellungseröffnung hat er nicht mehr erlebt: Zwölf Tage vor der Eröffnung starb er an einem Herzversagen.
Es dürften die Porträtfotografien Grubenmanns aus den 60er und 70er gewesen sein, die den Fotogaleristen dazu bewegt haben den etwas in Vergessenheit geratenen Grubenmann mit dem Schweizer Magnum-Fotografen zu vergleichen. In einem Buch mit dem Titel «Chöpf ond Chläus» gewährt Biasotto einen Einblick in Grubenmanns Bildersprache. Zumeist sind es Männer aus Appenzell, die auf Grubenmanns Porträtbildern zu sehen sind. Bilder mit einem Teleobjektiv aufgenommen. Zu nah kam der diskrete Fotograf den Fotografierten nicht. Männer mit kantigen Gesichtszügen, Bauern an Viehschauen, eine Lindauerli-Pfeife zwischen den Lippen oder häufig eine Brissago oder eine Zigarre in der Hand haltend. So sehen sie aus. Ein Appenzeller Alpaufzugs- oder Edelweissgurt gehört zur Kleidung. Selten schauen die Fotografierten den Fotografen direkt an, sie sind gerade im Gespräch mit anderen Männern vertieft oder schauen sich mit Kennerblick kritisch prüfend Kälber an. Sie stehen in einer Runde. Nur selten sind Frauen auf den Bildern zu sehen. Ein einziges Mal ein städtisch gekleideter Herr. Er schaut den Fotografen an, blickt kritisch drein. Man wüsste gerne, wer dieser Herr inmitten der Bauern ist, erfährt es aber in Ermangelung von begleitenden Notizen des Fotografen nicht. Grubenmann selber wusste Jahrzehnte nach erfolgter Fotografie nicht mehr die Namen der Fotografierten. Im Gefolge der Ausstellung aber melden sich Nachkommen, die die Porträtbilder ihrer Väter erwerben wollen und so den Porträtierten ihre Namen zurückgeben.
Wohl weil die Frauen im damals bäuerlichen Appenzell während der Viehschau zuhause geblieben sind, um das Mittagessen vorzubereiten, fehlen sie auf den Bildern. Vergessen wir nicht, es sind die Jahre vor der Einführung des Stimmrechts für die Frauen, in denen Grubenmann fotografiert. Grubenmann hat in einer Zeit, da noch nicht alle eine Kamera besassen, einem Wanderfotografen von früher ähnlich, den Männern am Viehmarkt gegen Bezahlung Vergrösserungen angeboten. Bilder vom Alpaufzug und Hochzeitsreportagen gehörten zu Grubenmanns Geschäft. Die von Grubenmann porträtierten Menschen sind in der Regel ältere., von der anstrengenden Arbeit im Stall oder im Freien gezeichnete Männer. Es sind Bilder von einer vergangenen Zeit. An der fast unübersichtlich grossen Zürcher Fotografieschau photoSCHWEIZ zeigte Galerist Biasotto Anfang Januar acht grossformatige Männerporträts Grubenmanns, liess sie unübersehbar hoch an einer Hallenwand hängen. «Sein Werk zeigt eine volkstümliche Schweiz jenseits national-konservativer Mythen- authentisch, echt, empathisch», urteilt Biasotto.
Die Hügel seiner Heimat und die Silvesterchläuse im Ausserrhodischen sind weitere Bildthemen des Fotografen. Ähnlich wie Herbert Mäder, Mäddel Fuchs oder Dominic Nahr, die drei bekanntesten Fotografen aus dem Appenzellerland , die die Enge ihrer Heimat für Monate mit der Weite anderer Landschaften vertauscht haben, erging es Grubenmann. Die Bilder, die auf seinen ausgedehnten Reisen durch Afghanistan und Indien entstanden sind, kennen wir leider noch nicht. Im Alter von 33 hörte Grubenmann auf, systematisch im Appenzellerland zu fotografieren. Er zog nach Süddeutschland, erlernte den Beruf des Gärtners und arbeitete von dann an in einem anthroposophischen Gartenbetrieb. Im höheren Alter kam die Zuneigung zur alten Heimat wieder auf. Thomas Biasotto verwaltet den Nachlass Grubenmanns. Angesichts des riesigen Oeuvres René Burris und im Vergleich zu Burris Weltgewandtheit bleibt es spannend, auf welche Bilder Grubenmanns Thomas Biasotto noch stossen wird.
Eingeworfen am 12.1.2023
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