Familienbilder an vier Orten

Das Thema Familie ist derzeit an Schweizer Museen im Rahmen von Fotoausstellungen sehr präsent. Im Juni und noch bis Mitte Oktober ist im Fotomuseum Winterthur die Ausstellung «Wahlfamilie – Zusammen weniger allein» zu sehen. Die Ausstellung beleuchtet anhand von Werken aus der Sammlung des Fotomuseums Winterthur sowie mit internationalen Positionen, wie (Wahl-)Familie als soziales und kulturelles Konstrukt fotografisch verhandelt und dargestellt wird. Nebst den Arbeiten von Fotograf_innen und Künstler_innen präsentiert das Museum auch persönliche Fotoalben und somit Familiengeschichten von Menschen aus Winterthur und der gesamten Schweiz. Und im November wird im Vögele Kulturzentrum in Pfäffikon (SZ) die Ausstellung «doing family» eröffnet. In dieser Schau wird den folgenden Fragen nachgegangen: Welche Rolle spielt die familiäre Herkunft für den eigenen Lebensentwurf? Welchen Einfluss haben Geld, Macht und gesellschaftliche Rollenbilder auf das Familienleben? Können Liebe und Fürsorge auch einengen? Welche Geschichten und Geheimnisse gestalten unsere Beziehung zu Verwandten oder Freunden? Klar, dass da dem Thema anhand von Fotografien nachgegangen wird.

«Familienbande» lautet der Titel einer Ausstellung im Haus für Kunst in Altdorf (UR). «Familiensache» heisst eine Ausstellung im Kunstzeughaus in Rapperswil-Jona (SG). Das Thema muss in der Luft liegen, denn koordiniert oder von langer Hand gemeinsam vorbereitet wurden diese vier Ausstellungen nicht. Die aus Tarbes (F) stammende Zürcher Fotografin Caroline Minjolle zeigt Arbeiten in Altdorf und in Pfäffikon. Ihr hat das Haus für Kunst in Uri eine grosse Zeigefläche zugestanden. Caroline Minjolle ist ein Zwilling. Eine ganze Wand bespielt sie mit diesem Thema, zeigt sie Fotografien, auf denen sie und ihre Zwillingsschwester Sophie zu sehen sind. Fotografiert wurden sie von ihren Eltern, von Verwandten, von Profifotografen. Und sie haben auch sich selbst zu einer Zeit fotografiert, da der Begriff Selfie noch nicht im Umlauf war. Von Kleinkind bis zum Erwachsenenalter schauen die beiden Schwestern uns an und verunsicherten auch mich, der ich die Fotografin und ehemalige Tänzerin seit über 25 Jahren kenne und vor einzelnen Fotografien unschlüssig stand, mich nicht entscheiden konnte, wer wer ist. Caroline Minjolle hat sich mit der Darstellung des Menschen einen Namen gemacht: Wie ein roter Faden zieht sich der Umgang mit dem Körper und seiner Inszenierung durch das Schaffen der Fotografin, die zahlreiche Künstlerinnen und Künstler der unterschiedlichsten Sparten fotografiert hat. Einen ganzen Museumsraum – und der ist nicht zu klein – hat Caroline Minjolle mit Bildern ihrer beiden Söhne bestückt: Merlin und Basil hat sie, so es sich ergab, jeden Monat fotografiert. Und das über Jahre. Manchmal wählten die beiden Jungs sehr spezielle Positionen, wählten Objekte oder Kleidungsstücke, mit denen sie fotografiert wurden. Mit einer umfassenden Sammlung von Fotografien, die als Buch mit dem Titel «Rendez-vous» aufliegen, ist das Leben der beiden Söhne öffentlich dokumentiert, Veränderungen und Lebensumstände werden schwarz auf weiß sichtbar. Im Buch mit dem Titel  „Monozygotes“, eine Künstlerin-Edition von 100 Exemplaren sind die Zwillingsschwestern zu sehen.

Zwillinge sind auch das Thema einer Arbeit, die die Fotografin Barbara Davatz aus Zürich in der Ausstellung im Kunstzeughaus Rapperswil-Jona zeigt: 1975 fotografierte sie eineiige Zwillingspaare. Das Thema der doppelten Identität muss die Fotografin fasziniert haben: In strikter Frontalität abgelichtet, erforscht sie äusserliche Ähnlichkeiten und Unterschiede. Und wieder steht der Betrachter, er selber vom Thema fasziniert, weil er Vater von Drillingen ist, die gewiss nicht eineiig sind, vor diesen Porträts und sucht Unterschiede, auch solche der kleinsten Art. Faszinierend im Kunstzeughaus auch eine grossangelegte Arbeit von Barbara Davatz mit dem Titel «As Time Goes By» aus den Jahren 1982, 1988, 1997 und 2014. Innerhalb dieser Zeitspanne von über dreissig Jahren fotografierte Davatz wiederholt Bekannte und Freundinnen und Freunde. Die Langzeit-Porträtserie begann mit Porträts von zwölf jungen Paaren. Und wie es im realen Leben ist, kam es bei diesen befreundeten und verheirateten Paaren zu Trennungen und neuen Paarbildungen. Faszinierend diese Fotofolge, wo auf einmal einer Frau ein neuer Partner zur Seite steht, wo plötzlich ein Mann alleine vor der Kamera steht, um etwas später wieder zu zweit aber mit einer anderen, neuen Partnerin die Fotografin anzuschauen. Beeindruckend auch die Veränderungen im Aussehen im Lauf der Jahre.

Barbara Davatz fotografierte Paare

Susanne Dubs, freischaffende Grafikerin in Magglingen (BE), hat eigene und fremde Familienalben sowie frei zugängliche Fotos aus verschiedenen historischen Archiven aus dem analogen Fotozeitalter durchgestöbert und mehrere hundert Fotografien in einem grossformatigem Fries im Haus für Kunst in Altdorf tapetenartig an allen vier – nicht zu kleinen – Wänden als Computerdrucke angebracht. Unerhört diese vielen Szenen, die aus der Schweiz und Deutschland stammen: Menschen vom Land und aus der Stadt, Kinder, Jugendliche, Eltern und Grosseltern sind da zu sehen, manchmal vor dem Haus, andere Male stolz neben dem eigenen Auto, unterwegs in den Bergen oder schlicht im Wohnzimmer oder in Fotostudio zu sehen. Man spaziert langsam von einem Bild zu nächsten, ertrinkt fast in den vielen Bildern, erkennt manchmal den Ort, an dem dieses oder jenes Bild aufgenommen wurde und wünscht sich einen Autor wie Wilhelm Genazino, der so trefflich Geschichten zu fremden Fotografien erfinden konnte. Anstelle von Genazino hat das Literaturhaus Zentralschweiz einen literarischen Beitrag zur Ausstellung beigesteuert: Im obersten Stockwerk des Altdorfer Museums ist die Autorin Rebecca Gisler zu hören. Ihr gefeierter Debütroman «Vom Onkel», den sie auf Französisch und Deutsch verfasst hat, erschien 2021 in Frankreich unter dem Titel «D’oncle». Und natürlich handelt der Roman von Beziehungen innerhalb einer Familie. Am 17. November abends findet im Museum ein Autorinnengespräch mit Rebecca Gisler statt, Moderation Sabine Graf.

Eingeworfen am 10.10.2022

«Familiensache» im Kunstzeughaus Rapperswil-Jona bis zum 23. Oktober, «Familienbande im Haus für Kunst in Altdorf bis zum 20. November. «doing family ab 15. November im Vögele Kulturzentrum in Pfäffikon.

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