50 mal 50

Monika Geissbühler, 50 jährig, von Niklaus Spoerri fotografiert

Autor: Michael Guggenheimer

Als sich sein fünfzigster Geburtstag näherte, begann Fotograf Niklaus Spoerri Fünfzigjährige zu fotografieren.

Runde Geburtstage sind besondere Geburtstage. Es ist eine Art Zahlenmagie, die sie auslösen. Manche meinen, runde Geburtstage seien Wendepunkte im Lebenslauf. Manchen bereiten sie Angst: «Oh, jetzt bin ich schon so alt!?». Sie verreisen, sind dann am Geburtstag weit weg, unerreichbar. Andere lassen sich feiern, organisieren ein Fest, laden Freunde ein. Manche nehmen sich etwas vor: Ein Projekt muss her. Einer, der sich etwas vorgenommen hat, ist der Zürcher Fotograf Niklaus Spoerri. «50. Ein Zwischenbericht – Eine fotografische Portraitserie» nennt sich sein Projekt.

Als sich sein fünfzigster Geburtstag näherte, beschloss Niklaus Spoerri, Menschen, deren fünfzigster Geburtstag bevorstand oder die kurze Zeit zuvor fünfzig geworden waren, zu fotografieren. Fünfzig Personen hat er in den letzten Jahren fotografiert. Fünfzig Bilder, die bis Ende August in der Buchhandlung «Never Stop Reading» in Zürich zu sehen sind. Alle Bilder mit einer Mittelformatkamera analog aufgenommen. Für jede Person benötigte er einen Film mit zwölf Aufnahmen. Mehr Film setzte er nicht ein, mehr Bilder gab es nicht. Und anders als im digitalen Smartphonezeitalter konnte keine der porträtierten Personen gleich nach Ende der Fotoséance sehen, wie das Bild geworden ist.

Steht man vor den Fotos der Fünfzigjährigen, überlegt man sich, wie Fotograf Spoerri auf sie gekommen ist. Nein, ein Schneeballverfahren war es nicht. Weil er mehrheitlich mit Personen seiner Generation verkehrt, weil seine Freunde zumeist seiner Altersgruppe angehören, sei es nicht schwierig gewesen. Und weil die meisten seiner Bekannten und Freunde in Zürich leben, kam es bloss, zu einer Fahrt nach Basel. «Ich merkte bei dieser Arbeit natürlich auch, wie eng mein Lebensumfeld ist», meint Spoerri. «Aber das geht anderen wohl nicht anders».

Die Fotos hat er stets in den Wohnungen oder Ateliers der Porträtierten aufgenommen. «Das Umfeld in ihrem Zuhause darf miterzählen. Es sind Begegnungen, welche einen Moment im Leben der Portraitierten festhalten». Es gab keine Überraschungsbesuche: Mit jeder und jedem wurde ein Termin vereinbart. Die Fotografierten schlugen vor, wo in der Wohnung oder im Atelier sie fotografiert werden wollten. Fotograf Spoerri schlug wiederholt einen anderen Ort, der ihm von den Aufnahmebedingungen her passender schien. Er machte weder Kleider- oder Farbvorschläge. Die Fotografierten zogen sich so an, wie es ihnen am besten gefiel oder behagte. Dass die Fotografierten im Hinblick auf seinen Besuch den Raum, in dem sie fotografiert werden wollten, aufräumten, nimmt man an, wenn man die Bilder anschaut: Die Räume wirken alle sehr geordnet. Manchmal ist ein vollbeladenes und schön aufgeräumtes Büchergestell im Hintergrund zu sehen. Ob manche unter ihnen vorher im Frisörsalon waren, ist unbekannt aber anzunehmen. Was an den Bildern auffällt: Niklaus Spoerri beschränkt sich bei den Porträts nicht auf die Gesichter: Von allen Personen sieht man die Hände. «Auch Hände können einiges über eine Person erzählen», sagt Spoerri. Bloss eine einzige Person hat ein Arbeitsinstrument in der Hand: Es ist ein Gitarrist, der spontan seine E-Gitarre nahm und wünschte, mit ihr aufgenommen zu werden.

Thomas Oehler, Steinbildhauer, 50 jährig, von Niklaus Spoerri fotografiert

Wer die fünfzig sind? Eine Namensliste liegt an der Ausstellung nicht auf. Niklaus Spoerri wollte zunächst auf Namen überhaupt verzichten. Aber ganz unten auf jedem Bild sind in Kleinstbuchstaben Name und Vorname der fotografierten Person angegeben. Das ist der Intervention von Leuten zu verdanken, die das Projekt verfolgten. Zwei Gesichter und zwei Namen sind mir in Erinnerung geblieben. Monika Geissberger, Lehrerin im gestalterischen Bereich, ist auf dem grossen Bild zu sehen, auf dem kleinen Bild ist es der Steinbildhauer Thomas Oehler. Fotograf Spoerri hat mit jedem und jeder gesprochen. Er weiss, wo sie leben, er kennt ihre Berufe, manchmal auch ihre Lebensgeschichten, wenn er seit langem mit ihnen befreundet ist. Seinen älteren Bruder und die jüngere Schwester, die ich beide kenne, hat er auch fotografiert. Und während ich das schreibe, realisiere ich, dass ich bloss fünf der Porträtierten kenne, eindeutig älter bin. Oder wie Niklaus Spoerri es formuliert: «in einer anderen Blase lebe». Er hätte zu jeder der fotografierten Personen einen Text schreiben können. Und weil er das unterlassen hat, bewegt man sich von einem Bild zum nächsten, liest die Namen und macht sich manchmal eine eigene Geschichte zu einzelnen fotografierten Personen. Ein Schlagzeuger? Eine Filmerin? Eine Ausländerin? Weshalb meine ich, dass eine Person diesen oder jenen Beruf hat? Und weshalb klebe ich an Berufsbezeichnungen? Weshalb ist mir diese Person sympathisch? Fragen, die einen beim Betrachten der Bilder in der Ausstellung beschäftigen.

Eine einzige Person unter den fünfzig hat Niklaus Spoerri nicht fotografiert. Er selbst ist nämlich auf einem Bild zu sehen, gemacht hat das Bild Thomas Oehler, er selbst kein Fotograf, der aber wegen seines fünfzigsten Geburtstags auch auf einem Bild zu sehen ist. Ob die Bilder in einem Buch zu sehen sein werden? Geplant ist es nicht. Aber ich sei nicht der einzige, der diese Frage gestellt habe. Das könne noch werden. Niklaus Spoerri überlegt sich, ob er weitere fünfzig Fünfzigjährige fotografieren soll. Und eine weitere Variante könnte ein Fototermin zehn Jahre nach dem fünfzigsten Geburtstag sein. Erste Personen, die er fotografiert habe, gingen auf die sechzig zu. Noch sei alles offen.

Ich gebe zu, dass ich neugierig war und über einige Personen mehr wissen wollte. Meine Suche im Netz führte mich in einigen Fällen weiter, mit anderen Namen hatte ich kein Erfolg. Was aber immer deutlicher wurde: Die Fotografierten wohnen zumeist in den hippen Zürcher Stadtquartieren Wiedikon, Kreis 4 und im industriequartier. Und die meisten üben sogenannt kreative Berufe aus, sind Grafikerinnen, Fotografen, Schauspielerinnen, Journalisten, Redaktorinnen, Architekten.

Die Ausstellung findet statt in der Buchhandlung Never Stop Reading, Spiegelgasse 18 / Untere Zäune, 8001 Zürich. Finisage ist am Sonntag 28. August nachmittags von 14-17 Uhr. Sonst einfach zu den Buchhandlungsöffnungszeiten offen.

Die beiden Bilder von Niklaus Spoerri: © https://www.niklausspoerri.ch/

Eingeworfen am 10.8.2022

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