Zürich: Die frühen Fotograf*innen

In einem geführten Rundgang durch die Innenstadt zeigt Saro Pepe regelmässig die Entwicklung und Bedeutung der Fotografie in Zürich im 19. Jahrhundert. Wer waren die frühen Protagonistinnen und Förderer der neuen Technik, die zugleich eine neue Kunstform war? Welche waren die beliebtesten Fotosujets und wo befanden sich die Fotoateliers?

«Trotz Weihnachtsrummel bleiben Passanten vor dem Ladenlokal Ecke Rennweg / Fortunagasse stehen. Im Schaufenster stehen verloren einige Objektive, die Ladenbeleuchtung brennt, aber die Tür ist von innen abgedeckt und von aussen versiegelt. «Was, den Foto Ganz gibts nicht mehr?», sagt eine ältere Frau zu ihrem Begleiter. Zwei Männer lesen das Schreiben, das an der Scheibe klebt. Absender: Konkursamt. Foto Ganz war das bekannteste Fotogeschäft in Zürich. Wer eine fachkundige Beratung, ein Occasionsobjektiv suchte oder ein Passfoto für ein Visum oder ein Konsulat brauchte, pilgerte jahrzehntelang in das einstige Familienunternehmen».

So beginnt ein Artikel von Ev Manz im Zürcher Tagesanzeiger vom 20.12. 2018 über das Ende eines über 100 Jahre alten Traditionsunternehmens in der Fotobranche. Seit dem Jahr 1903 war das Fotogeschäft, das Johannes Ganz ursprünglich an der Bahnhofstrasse gegründet hatte, am Rennweg domiziliert. Drei Filialen, eine am Löwenplatz, eine zweite am Stauffacher und eine dritte am Schaffhauserplatz gehörten zu den Fotoläden mit dem Namen Foto Ganz.

Alles Geschichte, denn Foto Ganz gibt es nicht mehr. Aber die Frühgeschichte der Firma gibt es noch. Einer, der auch ein kurioses Detail dieser Geschichte erzählen kann, ist Saro Pepe vom Baugeschichtlichen Archiv der Stadt Zürich: Johannes Ganz, ehemaliger Lithograf aus Bülach, hatte im Jahr 1867 sein Geschäftshaus mit Porträtstudio an der Bahnhofstrasse 40 eröffnet. Als sein Sohn Rudolf im Jahr 1903 mit dem Geschäft an den neuen Geschäftssitz am Rennweg zog, entledigte man sich von nicht mehr benötigten Fotoplatten, indem man sie kurzerhand von einem Boot aus in den Zürichsee kippte, wo sie in den 1970er Jahren geortet und gehoben wurden. Eine Kiste hatte kein Seewasser durchgelassen und so konnten Zürcher Porträtbilder aus der Frühzeit der Fotografie gerettet werden. Weil die Fotografen Johannes und Rudolf Ganz gut in der Zürcher Oberschicht verankert waren, fanden sich bei den geretteten Fotoplatten auch Bilder renommierter Zürcherinnen und Zürcher. «Das Bürgertum liess sich in seinem Tageslichtstudio porträtieren. 1883 war Ganz verantwortlich für die Fotoabteilung der Landesausstellung», berichtet Ev Manz im Tagesanzeiger.

«Zürich wird fotografiert. Die Stadt des 19. Jahrhunderts im Spiegel der Kamera» heisst der kommentierte Stadtrundgang, den Saro Pepe sich ausgedacht hat und mehrmals im Jahr durchführt: Zweimal im Jahr für den Verein Stattreisen sowie weitere Male für Gruppen, die den Rundgang buchen. Ein Handout, den die an der Fotografiegeschichte der Stadt interessierten Mitspazierenden erhalten, weist rund 20 Namen von Fotografinnen und Fotografen auf, welche die frühe Zürcher Fotogeschichte prägten. Saro Pepe wandert auf seinem fotohistorischen Rundgang durch die Zürcher Altstadt beidseits der Limmat, hält immer wieder mit der Gruppe vor einem Haus an, zieht Vergrösserungen von alten Fotografien aus seiner Archivmappe hervor und schildert die Geschichte einzelner Fotografie-Dynastien, einzelner Häuser und geht auf die Geschichte und Entwicklung der Fotografie ein. Die frühe Fotofirma Ganz war übrigens nicht die einzige, die nicht mehr gebrauchte Fotoplatten im Zürichsee versenkt hatte: In Rapperswil hatte es eine ähnliche Aktion eines anderen Studios gegeben. «Die Platte bleibt zum Nachbestellen aufbewahrt» hatte es zwar auf der Rückseite der Fotoplatten geheissen, die im Seewasser gelandet waren.

Nicht minder wichtig als die Dynastie Ganz war die Firma, des aus Zittau in Sachsen stammenden Johannes Meiner, der 1894 im Centralhof und ab 1900 im prächtigen «Haus Metropol» an der Börsenstrasse 10 domiziliert war. Meiner hat zahllose Bauten fotografiert. Meiner war vor allem ein berühmter Porträt-Fotograf. Wohl 90 Prozent seiner Bilder waren Porträts, die er in seinem Atelier aufgenommen hat. Bis 1963 bestand das Fotografenatelier Meiner, dessen integraler Bestand heute im Baugeschichtlichen Archiv von Saro Pepe betreut wird und teilweise digitalisiert vorliegt. Bei der Arbeit im 300 000 Bilder zählenden Archiv ist Pepe auf Fotografien längst nicht mehr existierender Fotoateliers gestossen und auf ihre spezielle Architektur. In einem Hinterhof an der Grauen Gasse im Niederdorf hält Saro Pepes Gruppe an und sie alle blicken in die Höhe. Dort hoch oben unter dem Dach ist eine Art Wintergarten aus Glas zu sehen, pflanzenlos zwar. Hier befand sich einst das Fotostudio von Joseph Broglie, einem selbsternannten «Professor der Photographie aus Paris», der zum Ärger der anderen örtlichen Fotografen mehrmals wöchentlich im Tagblatt der Stadt Zürich seine Künste in Inseraten anpries.

Saro Pepe, Stadtführer in Sachen früer Fotografie in Zürich mit einer Fotografie eines ehemaligen Fotoateliers in der Zürcher Aktstadt

Schon in den Jahren 2011 bis 2019, als er das von ihm mitkonzipeirte Museum des FCZ geleitet hatte, galt Saro Pepes Interesse auch der Geschichte der Frauen in Zürich. Frauenfussball war damals bei seinen Führungen stets auch ein Thema. Und so verwundert es nicht, dass die Geschichte der frühen Fotografinnen Zürichs auch Thema bei den Stadtrundgängen. «Oft standen die Frauen der Fotografen ihren Männern zur Seite, sie erlernten so das Metier und übernahmen deren Arbeit», erzählt Saro Pepe und verweist gleichzeitig auf den neuen Roman «Das Flirren der Dinge» der Italienerin Raffaela Romagnolo über die Frühzeit der Fotografie als Fotografen mit ihren schweren Kameras und den chemisch ungesunden Entwicklungsverfahren Helfer benötigten, die wiederum Fotostudios eröffneten. Regula Rathgeb gilt als die erste Zürcher Fotografin, sie war eingetragen im Leipziger «Adress-Handbuch ausübender Photographen von Deutschland, den Österreichischen Kaiserstaaten und der Schweiz». Paulina Gut hat das Fotoatelier ihres Gatten Jean Gut im Haus «Zum blauen Himmel» an der Napfgasse 8 weitergeführt. Alwina Gossauer führte zusammen mit ihrem Mann Johannes Kölle bis 1866 ein Atelier an der Napfgasse, ab 1868 selbstständig ein eigenes Fotoatelier in Rapperswil: Dass es zum Ortswechsel gekommen war, hat mit einem Verfahren gegen ihren Mann zu tun, der wegen Nacktaufnahmen eine Gefängnisstrafe absitzen musste. In Rapperswil kam es wieder zu einem Verfahren wegen Falschmünzerei. Ob die Fotoplatten mit den Nacktaufnahmen auch im Zürichsee liegen, ist hingegen nicht bekannt.

Die Fotografie, so der Spaziergangführer durch die Zürcher Fotogeschichte, ist im Oktober 1839 bereits zwei Monate nachdem Louis Daguerre in Paris der Welt sein neuartiges fotografische verfahren vorgestellt hatte, in Zürich präsentiert worden: Die Physikalische Gesellschaft hatte damals zu einer Ausstellung eingeladen. Anhand mehrerer Fotografien, die am Limmatquai aufgenommen wurden, kann Saro Pepe auch nachweisen, dass der andere Vater der Fotografie, der Engländer William Henry Fox Talbot, in Zürich auch Aufnahmen gemacht hat.

Der nächste Stadtrundgang zum Thema Fotografie in Zürich findet am Samstag, 2. Juli statt. Treffpunkt um 10 Uhr unter dem Engel in der Halle des Hauptbahnhofs. Der Rundgang kann auch für private Gruppen gebucht werden über www.stattreisen.ch

Eingeworfen am 20.6.2022

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