Die Fotofenster von Björn Siegrist

Auf seinen Bildern sind nur selten Menschen zu sehen. Björn Siegrist, der an der ETH seine Ausbildung als Architekt absolviert hat, war Mitinhaber eines Architekturbüros, in dem er heute Teilzeitangestellter ist. Zu stark war die Passion für die Fotografie: Heute fotografiert er Neu- und Umbauten für das Architekturbüro und macht Aufnahmen u.a. für Buchprojekte des Lehrstuhls Annette Spiro am Departement Architektur der ETH. Daneben arbeitet er als freier Fotograf und verfolgt eigene Bildthemen. Im Mai zeigte er im in den beiden Schaufenstern eines Ateliers eines befreundeten Künstlers im Zürcher Seefeldquartier Fotografien. Es war nicht seine erste Bilderausstellung, die Schaufenster als Ausstellungsort benutzte.

Im Jahr 2020 hatte Björn Siegrist zu einer ersten Ausstellung in der Galerie am Lindenhof in Zürich eingeladen. Dass keine Zuschauerinnen und Zuschauer zur Ausstellungseröffnung erschienen sind, hat nichts mit seinen Fotos zu tun: Siegrists Ausstellung war just an dem Zeitpunkt vorgesehen, als die Schweiz mit dem amtlich verfügten Lockdown Museen, Galerien, Theater und Kinos eine Zwangspause verfügte. Björn Siegrists gerahmte Fotografien hingen bereits in der Galerie, Besucher aber durfte der Fotograf keine empfangen. Passanten hingegen konnten Eindrücke von den Bildern beim Vorbeigehen erhaschen, weil Siegrist sie im Schaufenster der Galerie platzierte. Ähnlich war es dem Fotografen Thomas Kern mit seiner Ausstellung in Fribourg ergangen: Kaum eröffnet, musste sie geschlossen werden. Doch dann konnte Kern einzelne Fotos in diversen Schaufenstern von Läden in Fribourg ausstellen. «There’s nothing to see here» lautete der Titel von Siegrists ersten Ausstellung. Damit waren keine geschlossenen Ausstellungen oder Museen gemeint, sondern leere Hinterhöfe, verlassene Parkplätze, Einöden auf dem Land und Rückseiten von Häusern, wie er sie in seinen Fotografien festgehalten hat. Darunter Bilder, die an die Zeit der leeren Plätze in den Monaten der Pandemie erinnern, obschon sie vorher fotografiert wurden.

Dass keine Menschen auf den gezeigten Bildern zu sehen sind, war gewollt. Wer Fotos anschaue, fokussiere seinen Blick auf Personen, die im Bild zu sehen seien, beobachtet Siegrist. Was ist das für ein Mensch, was macht er? Der Mensch in der Fotografie binde die Aufmerksamkeit der zuschauenden Person. Siegrist mit seinen personenlosen, menschenleeren Bildern will das Augenmerk darauf lenken, was man sonst nicht sieht, weniger beachtet.

Präzis ein Jahr nach der gescheiterten Ausstellungseröffnung zeigte Fotograf Siegrist seine Bilder vom Vorjahr nochmals in derselben Galerie. Diesmal im Ausstellungsraum und unter dem angepassten Titel «There’s still nothing to see here». Doch angesichts der Beschränkung von gleichzeitig maximal fünf Personen in der Galerie, konnte eine wirkliche Vernissagenfeier nicht stattfinden. Die dort ausgestellten Arbeiten führten wiederum durch Hinterhöfe, Einöden und an Rückfassaden aus aller Welt vorbei. Siegrist zeigte „Bühnen, auf denen scheinbar nichts geschieht, auf denen die Vorstellung noch nicht begonnen hat oder schon längst vorbei war“.

Das Bild einer Treppenhauswand in Zürich

Die Präsentation von Fotografien für Passanten hatte Siegrist auch sonst noch in der Zeit der Pandemie angewendet: Weil Unternehmen in der Zeit, da Theater, Museen, Konzertsäle und Restaurants geschlossen waren, weniger in Werbung investierten, konnte Siegrist zu besonderen Konditionen Fläche an zehn Plakatwänden in der Stadt Zürich mieten. Auf diesen Flächen liess er grosse Fotografien im Plakat-Weltformat anbringen. Ein QR-Code begleitete interessierte Passanten und Fotofreaks auf einem Stadtspaziergang in den Zürcher Stadtkreisen 4 und 5 von einem Bild zum nächsten. Wo sonst Werbebotschaften für Produkte hängen, waren Bilderinnerungen des Fotografen aus verschiedenen Ländern zu sehen, Einblicke in andere Gegenden und Kulissen. Die Plakatbilder liessen sich in beliebiger Reihenfolge besuchen und anschauen. Auf seiner Website bemerkte Siegrist, die so gezeigten Fotos liessen sich an der frischen Luft (wahlweise mit oder ohne Maske) auf dem schon lange fälligen Stadtspaziergang erleben.

Noch ein Jahr später dann endlich eine Ausstellung unter fast idealen Bedingungen. Zwei Schaufenster stellte ihm Künstlerfreund Jürg Hanser zur Verfügung. Als Titel der Ausstellung wählte Siegrist «Panama». Fotograf Siegrist ist ein weitgereister Mann. Schaut man sich seine Aufnahmen auf seiner Webpage an, dann entdeckt man Aufenthalte in die USA, Schweden, Vietnam und Japan. Panama fehlt aber unter den bisherigen Reisezielen. Die Wahl des Ländernamens habe auch nichts mit dubiosen Briefkastenfirmen zu tun, versichert der Fotograf. Das berühmte Kinderbuch «Oh, wie schön ist  Panama» von Janosch könne aber durchaus als Ausgangsidee gelten, die hinter der Ausstellung stecke. Im Kinderbuch unternehmen ein Bär und ein Tiger eine Reise um die Welt nach Panama. Die beiden sind auf der Suche nach dem etwas anderem Alltag, wo alles besser, grösser und schöner sein soll als zuhause. Tiger und Bär sind unterwegs, gehen im Kreis und kommen schliesslich wieder in ihrem ursprünglichen Zuhause an, wo sie sie sich wohlfühlen.

Eine ähnliche Bewegung vollzog Björn Siegrist mit seinem Projekt Panama. Siegrist durchstreift in Zürich ebenso wie unterwegs im Ausland Stadtviertel, touristische «Highlights» kommen auf seinen Bildern nicht vor. Es ist das Unscheinbare im Alltag, das uns jeden Tag begleitet und kaum mehr auffällt, das er mit der Kamera festhält. Für die neue Ausstellung ging er der Strasse entlang, an der seine Ausstellung stattfand, ging und fotografierte die Häuser auf der einen Strassenseite und stellte fest, dass er lauter Garageneinfahrten fotografiert hatte. Ankommen zuhause bedeutet für viele Bewohnerinnen und Bewohner jener Strasse ein Ankommen vor einer Dreifach-, Doppel- oder Einzelgarage. Jeweils ein Tor, das sich per Fernbedienung öffnen lässt. Dem Auge des Passanten präsentiert sich so zuerst ein langweiliges graues oder weisses Tor, die verschlossene Box, in der Autos geparkt sind. Diese Aufnahmen hat Siegrist in einem der beiden Schaufenster zu einem Tableau zusammengestellt. «Da, wo wir uns auskennen. Da, wo wir den Klang der Haustüre und den Geruch des Treppenhauses kennen. Da, wo unser Auto steht. Da, wo der Briefkasten mit unserem Namen versehen ist. Da, wo unsere Koffer im Keller stehen. Da, wo wir alles gesehen haben», blickt Siegrist nochmals hin und fixiert das Gesehene auf Bildern, die er ausstellt. «Oder haben wir da etwas übersehen?», fragt er und richtet seinen Blick im Nebenschaufenster ein zweites Mal auf das oftmals schon Gesehene wieder hin. Wer sich diese Garagentorbilder anschaut, der erinnert sich an ähnliche Strassen in den wohlhabenderen Quartieren von Städten und Dörfern. Diesen Aufnahmen entgegengestellt hat Fotograf Siegrist andere Aufnahmen , die er als Spaziergänger gemacht hat: Einen Hinterhof, einen Sonnenuntergang am See, ein Festzelt im Vorgarten, Tapete und Wandmalerei in einem Treppenhaus, den Blick in ein wohldesigntes Schlafzimmer. Gegenfotos gewissermassen auf der anderen Schaufensterseite, Nahaufnahmen, von denen wir nicht wissen, ob sie nun wirklich im selben Stadtteil oder anderswo aufgenommen wurden.

Björn Siegrists Schaufenster-Ausstellung «Panama» bis Ende Mai 2022 im Sachlade an der Seefeldstrasse 267 in Zürich

Eingeworfen am 25.5.2022

1 Kommentar

  1. Bravo Björn, super Artikel ! Viel Erfolg mit den Projekten und ein erfolgreiches Jahr wünsche ich Dir.
    Herzliche Grüße
    Sonja

    Antworten

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte Sie auch interessieren