Die Suche nach dem Filmeinwurf

Die Filmeinwurfkästchen gibt es im digitalen Zeitalter kaum noch

Autor: Michael Guggenheimer

Dies ist eine Fotogeschichte aus Bern: «Eines Abends wollte ich einen Farbdiafilm, dessen rasche Entwicklung mir am Herzen lag, ans Labor senden. Ich schritt zum Quartierbriefkasten. Der Spalt dieses Kastens war zu eng, um die Filmdose durchzulassen. Kurz entschlossen fuhr ich zum Hauptbahnhof, weil ich glaubte, der dortige Briefkastenschlitz sei weiter. Das war eine Täuschung. Darum fuhr ich weiter zur Schanzenpost, die als modern und grosszügig bekannt ist. Der Briefkastenschlitz ist aber auch dort zu eng. Ich glaubte mich zu erinnern, dass ich einst bei der Post in Wabern eine Filmdose hatte einwerfen können, doch war ich erstens nicht ganz sicher, und zweitens liegt Wabern doch halt recht weit vom Bahnhof entfernt. Ich kehrte also unverrichteter Dinge heim, und am anderen Morgen um sieben Uhr versuchte ich mein Glück bei der Kramgastpost. Der Erfolg blieb auch hier aus. Erst um Viertel vor Acht, als die Post aufging, wurde ich meinen Film los, und zwar nicht etwa am Schalter, sondern beim Briefkasten im Schalterraum. Es gibt also Schlitze, die Filmdosen durchlassen! Deshalb frage ich im Namen aller schweizerischen Diaphotographen: Was gedenkt der Bundesrat in dieser Sache zu tun? Wie lange noch muss sich das Volk solches gefallen lassen? Das Filmeinwurfrecht ist ein menschliches Grundrecht, und wenn nicht binnen dreier Monate die Briefkastenschlitze im ganzen Land um einen Zentimeter verbreitert oder doch wenigstens an einer Stelle kreisförmig ausgebuchtet werden, setze ich mich auf die Tramschienen.

Wahrlich auf dem Gebiet der Filme sind wir kein Entwicklungsland!»

Der Text von Ueli der Schreiber, alias Guido Schmezer, erschienen unter dem Titel «PTT-Engpässe» 1970 in der satirischen Zeitschrift Nebelspalter (Heft 29, Seite 32). Für filmeinwurf.ch entdeckt von Oded Fluss, Bibliothekar an der ICZ-Bibliothek, Zürich. Vielen Dank!

A la recherche de la NZZ: So wie sich der Fotograf Guido Schmezer in Bern auf die Suche nach einem geeigneten Briefkasten machte, so erging es auch dem österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard. Nur hatte er noch weitaus grössere Distanzen zu bewältigen. Wie weit Bernhard seine Zeitungssucht getrieben hat, kann man in dessen autobiografischem Text „Wittgensteins Neffe“ aus dem Jahr 1982 nachlesen. Als Bernhard während der Salzburger Festspiele 1968 dringend einen Artikel in der „Neuen Zürcher Zeitung“ lesen wollte, nämlich die Kritik der Aufführung von Mozarts „Zaide“, fuhr er von seinem Wohnort Ohlsdorf achtzig Kilometer nach Salzburg, von dort weiter nach Bad Reichenhall, nach Bad Hall und weiter nach Steyer. Schließlich war er 350 Kilometer gefahren, um die gewünschte Zeitung in Händen zu halten. Hier Bernhards Beschreibung:

»(…) hatte ich die Neue Zürcher Zeitung haben müssen, ich wollte einen Aufsatz über die Mozartsche Zaide, der in der Neuen Zürcher Zeitung angekündigt gewesen war, lesen und da ich die Neue Zürcher Zeitung, wie ich glaubte, nur in Salzburg, das von hier achtzig Kilometer weit weg ist, bekommen kann, bin ich im Auto einer Freundin mit dem Paul um die Neue Zürcher Zeitung nach Salzburg, in die sogenannte weltberühmte Festspielstadt gefahren. Aber in Salzburg habe ich die Neue Zürcher Zeitung nicht bekommen. Da hatte ich die Idee, mir die Neue Zürcher Zeitung in Bad Reichenhall zu holen und wir sind nach Bad Reichenhall gefahren, in den weltberühmten Kurort. Aber auch in Bad Reichenhall habe ich die Neue Zürcher Zeitung nicht bekommen und so fuhren wir enttäuscht nach Nathal zurück. Als wir aber schon kurz vor Nathal waren, meinte der Paul plötzlich, wir sollten nach Bad Hall fahren, in den weltberühmten Kurort, denn dort bekämen wir mit Sicherheit die Neue Zürcher Zeitung und also den Aufsatz über die Zaide und wir sind tatsächlich die achtzig Kilometer von Nathal nach Bad Hall gefahren. Aber auch in Bad Hall bekamen wir die Neue Zürcher Zeitung nicht. Da es von Bad Hall nach Steyr nur ein Katzensprung ist, zwanzig Kilometer, fuhren wir auch noch nach Steyr (…)« usw. usf. (S. 88)

Diese Stelle im Werk von Thomas Bernhard entdeckt von Valeria Heintges. Vielen Dank!

Eingeworfen am 21.1.2024

1 Kommentar

  1. Hoffe, dass deine Anfrage an die zuständigen Instanzen Erfolg hat. Es ist heute , da immer mehr Poststellen / – ämter geschlossen werden, eine Zumutung, dass nicht zumindest die Schlitze der Briefkästen etwas grösser sind

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