Alte Bücherwelten öffnen

Die Fotoabteilung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel (D) ermöglicht es Historikerinnen und Historikern weltweit Bücher und Dokumente vergangener Jahrhunderte zu konsultieren.

Zwei Löwenstandbilder zu beiden Seiten der Eingangstreppe bewachen das ehrwürdige Gebäude. Der lateinische Name klingt gewichtig: Bibliotheca Augusta. Es ist die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Ein Ort besonders wertvoller Bücher, der häufig im selben Atemzug wie die ehrwürdige Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar genannt wird. Die Tafel vor dem Gebäude weist hin auf einen Handschriftenlesesaal, auf Museale Räume, auf den Bereich Handschriften und Sondersammlungen. Und dann die Überraschung: Digitalisierungs- und Fotowerkstatt heisst es unten auf der Tafel. Die Bibliotheca Augustia ist eine international bekannte Bibliothek. Wegen ihres bedeutenden Altbestandes aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit ist sie eine wichtige Forschungsstätte für die Kultur dieser Zeit.

Die Geschichte der Bibliothek reicht ins 16. Jahrhundert. Ein modernes Projekt ist die Wolfenbütteler Digitale Bibliothek (WDB), mit der die Herzog August Bibliothek forschungsrelevante, besonders seltene, herausragende oder häufig genutzte Teile ihres Altbestandes in digitalisierter Form internationalen Forschern online zugänglich macht. Im Mai 2013 wurden die Digitalisate zur freien Nutzung zur Verfügung gestellt. Gemäß Angaben der Bibliothek wurden inzwischen mehr als 2,8 Millionen Seiten digitalisiert und über 17.000 alte Drucke und Handschriften der Allgemeinheit zugänglich gemacht

Michaela Weber ist die Leiterin der Fotowerkstatt. Eine Fotografin, die den Beruf von der Pike an durchlaufen und alle ihre beruflichen Stationen in der Welt der Fotografie in der Bibliotheca Augusta absolviert hat. Begonnen hatte sie als Fotolaborantin, die noch heute alle die unterschiedlichsten Fotopapiersorten aufzählen und deren Eignung beschreiben und unterscheiden kann. In der Bibliothek hat sie auch noch die anschliessende Ausbildung zur Fotografin absolviert. Michaela Weber ist die Koordinatorin der anfallenden Arbeiten, sie kümmert sich um die Technik der Abteilung, um die Zusammenarbeit mit der EDV-Abteilung. Und wie ihre Kolleginnen ist sie auch an der Arbeit bei Aufnahmen der Bücherschätze der Bibliothek. Eine mit ganz besonderem Engagement erfolgende Tätigkeit sind die Aufnahmen der Künstlerbücher-Sammlung der Bibliothek. Diese Sammlung wurde 1955 mit zeitgenössischen Werken großer französischer Malerinnen und Malern, den livres de peintres, begründet. Bis heute haben Künstler immer wieder aufs Neue sowohl auf traditionelle als auch experimentelle Weise die Grenzen des Mediums ausgelotet – diese Entwicklungen spiegeln sich in der international anerkannten Sammlung wider. Sie umfasst insgesamt weit über 4.000 Objekte.

Zu acht arbeiten sie in der Wolfenbütteler Bibliotheks-Fotowerkstatt. Und wer meint, dass es eines Tages weniger zu tun geben könnte, der ahnt nicht, wie gross der Bestand an Handschriften und alten und wertvollen Bücher diese Bibliothek ist, die digitalisiert werden sollen. Michaela Webers Arbeitsreich liegt im Untergeschoss der Bibliothek. Wohltuend kühl kann es an heissen Sommertagen dort unten sein, wo man nach mehreren Stunden Arbeit aber nicht weiss, wie das Wetter draussen ist. Verwinkelt liegen die Arbeitsräume der Fotowerkstatt. Eine für das Jahr 2022 geplante Renovation des Gebäudes wird zur Folge haben, dass die Fotowerkstatt während mehreren Monaten in Containern auf der Wiese vor dem Bibliotheksgebäude untergebracht soll. «Ich mache alles ausser Hochzeitsaufnahmen», sagt Michaela Weber und lacht, wenn sie einem die Geräte zeigt, an denen sie und ihre Kolleginnen arbeiten. Hier werden frühe Drucke, Bücher und Landkarten vergangener Zeiten Seite für Seite an grossen Geräten fotografiert, damit sie Forschenden in aller Welt, zumeist Historikerinnen und Historikern Buchwissenschaftlern und Kunsthistorikern, zugänglich sind.

Die Tafel vior dem Bibliotheksgebäude macht auf die Fotowerkstatt aufmerksam

Bis zu 1000 Seiten dick kann ein solches Objekt sein, das während der Dauer der fotografischen Arbeit nicht beschädigt werden darf. Viele der alten Bücher lassen sich nicht in einem Winkel von 180 Grad öffnen, weshalb sie mit Geräten fotografiert werden, die u.a. auch in Wolfenbüttel entwickelt wurden. So der «Wolfenbütteler Buchspiegel», der gemeinsam mit der Firma Kaiser Fototechnik in Tübingen entwickelt wurde. Dieses Gerät ist eine Vorrichtung zur Retrodigitalisierung von empfindlichen historischen Büchern und Dokumenten mit kritischem Erhaltungszustand, insbesondere für Bücher, die sich nicht weiter als 45° öffnen lassen. Das geöffnete Buch wird in eine V-förmige Buchwiege gelegt und dort gehalten. Ein V-förmiger Keil mit einer Glasplatte auf einer Seite und einem Spiegel auf der gegenüberliegenden Seite wird manuell in das geöffnete Buch gefahren und dort fixiert. Die etwas stärker als 45° geöffneten Seitenstützen werden manuell auf 45° an den Einband angedrückt. Die Glasplatte des Keils glättet die zu reproduzierende Seite. Das Spiegelbild der Seite wird digital fotografiert oder gescannt. Das digitale Bild kann mit einer geeigneten Software seitenrichtig umgerechnet werden. So ausgefeilt sind die Aufnahmegeräte mittlerweile, dass es zu Kooperationen über die Landesgrenzen bis Florenz und Oxford kommt. «Grazer Büchertisch» und «Book Cradle» heissen vergleichbare andere Geräte. «Traveller» ist ein mobiles Gerät zur Aufnahme von Büchern, mit dem man unterwegs in kleineren Bibliotheken und Archiven tätig sein kann, aus denen bestimmte empfindliche Bücher nicht auf Reise gehen sollten. Am meisten bewährt hätten sich im Rahmen ihrer Arbeit Canon Kameras wie die Canon 5 DS mit einem 50 Megapixel Sensor, erzählt Michaela Weber. .

Zeit um die Bücher zu lesen, die sie digitalisieren, haben die Leute von der Fotowerkstatt nicht. Zudem muss man besonders geschult sein, um manche dieser Schriften lesen zu können. Aber Freude an den schönen Objekten, an den schönen Schriften und Bildern sowie Landkarten, die kann durchaus die Arbeit begleiten. Und die Kolleginnen an den Kameras wissen, dass sie mit ihrer Arbeit Forschenden an zahlreichen Unis die Möglichkeit geben, vor Ort irgendwo in der Welt an Dokumenten zu arbeiten, an die sie sonst ohne eine Reise nach und einen Aufenthalt in WolfenbütteL nicht herankommen könnten. Manche Historikerinnen oder Historiker bestellen Einzelseiten aus einem Werk, andere ganze Werke in digitalisierter Form. Viele frühe Bücher sind heute aus klimatischen Gründen magaziniert und nur noch in digitalisierter Form erhältlich. «Wir machen das Wissen dieser Bücher weltweit verfügbar», erläutert Michaela Weber. «Und die Arbeit geht uns nicht aus, wir haben angesichts der grossen Bücherbestände unserer Bibliothek noch Arbeit für mehrere Jahrzehnte».

Eingeworfen am 29.09.2021

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