Schloss Waldeck im deutschen Bundesland Hessen. Hoch über dem Edersee auf einem steilen, felsigen und an seinen Hängen bewaldeten Berg gelegen. Eine Burganlage mit Museum, Hotel und Restaurant. Im Museum eine Ausstellung mit Titel „Hinter Schloss und Riegel“. Zudem ein Schlossshop.
Ich war nicht schnell genug. Leider. Denn gerade als ich die Kamera auf den grossen Bilderrahmen im Shop richtete und abdrücken wollte, rief die Frau hinter der Theke laut, ich dürfe den Bilderrahmen mit seinen drei alten Fotos nicht fotografieren. Wie ich mich nachträglich noch über mich ärgere. Ich hätte nicht zurückschauen sollen. Ich hätte schon längst abdrücken sollen. Ich war zu langsam. Jetzt fehlt mir das Bild, das ich gerne hier gezeigt hätte und muss ich mich mit anderen Bildern behelfen. Was für ein Bild das gewesen wäre? Zu sehen gewesen wären die junge Emma zu Waldeck und Pyrmont und ihr um vierzig Jahre älterer Gatte, der niederländische König Willem Alexander Paul Frederik Lodewijk von Oranien-Nassau.
Angefangen hatte es einige Stunden zuvor unten in der Ortschaft Scheid am Edersee. Begegnung im Café mit zwei lokalpolitisch aktiven Herren. Unerwartet bekam das Gespräch über die Gegend einen europäischen Touch als die beiden erklärten, weshalb in ihrem Ort und am See so viele Gäste aus den Niederlanden weilen: Königin Emma der Niederlande, Mutter von Königin Wilhelmina, Grossmutter von Königin Juliana, Urgrossmutter von Königin Beatrix und Ur-Ur-Grossmutter von König Willem-Alexander stammte vom Geschlecht der Adeligen vom Schloss Waldeck hoch überm See. Und weil sie mehrere Jahre lang Regentin anstelle ihres verstorbenen Königgemahls Willem III war, hätten Holländer die Gegend ins Herz geschlossen.
Prinzessin Adelheid Emma Wilhelmina Theresia zu Waldeck & Pyrmont hat es wirklich gegeben. Gelebt hat sie von 1858 bis 1934. Sie hat König Willem um 44 Jahre überlebt. Und weil bei seinem Ableben Tochter Wilhelmina noch ein Kind war, wurde die deutsche Adelige im Jahr 1890 Regentin der Niederlande bis Wilhelmina 1898 achtzehn Jahre alt geworden war und verfassungsmäßig den Thron besteigen konnte. Emma sorgte durch ihr Vorbild dafür, dass am Hof und in den „besseren Kreisen“ fortan Niederländisch gesprochen wurde. Zuvor hatte am Hof und in der Oberschicht der Gebrauch anderer Sprachen als vornehmer gegolten als die Landessprache. Dass dieser Schritt durch jemanden geschah, für den das Niederländische selbst eine Fremdsprache gewesen war, erregte in der Bevölkerung Bewunderung. Emma ist auch denjenigen in Erinnerung, die sie nicht erlebt haben können.
Ob die Liebe der Holländer zur Gegend nun wirklich historische Gründe hat, die so weit zurückreichen? Ich weiss es nicht. Auf den drei Fotos im Bilderrahmen, die ich nicht fotografieren durfte, sind Emma, der König und dann noch das königliche Paar zu sehen. Schloss Waldeck war einst Besitz von Emmas Familie. Daran erinnert auch ihr adliger Name. Wenn ich schon kein Bild habe, kaufe ich mir wenigstens eine Broschüre über Emma. Dachte ich. Vergeblich suchte ich unter den Büchern, die im Shop angeboten wurden, nach einer Broschüre über die Adlige aus Waldeck und ihren König aus Holland. Nein, sie hätten nichts über Emma, gab mir die unfreundliche Frau hinter der Verkaufstheke zu verstehen. Und als ich wieder unter dem Bilderrahmen stand, schaute sie mich so streng an, dass ich es unterliess, die Kamera wieder auf Augenhöhe zu halten und den Shop verliess.
Wieviel findiger sind da Nicole und Hubertus Nottscheid, die Besitzer von «Wildes aus Waldeck», des Regionalladens am Markt in der Waldecker Altstadt. Sie bieten in ihrem sympathischen Laden nicht nur mehrere selbst hergestellte Quiche Varianten und wunderbare Fruchttorten an, sie stellen in einer kleinen Brennerei auf der Rückseite des Hauses Gin her, den sie in Flaschen verschiedener Grösse abfüllen. Ihre Marke heisst Emma. Und auf der Etikette ist eine junge Frau mit Krone abgebildet, vielleicht nach einer Kopie einer Fotografie aus der Zeit von Adelheid Emma Wilhelmina Theresia zu Waldeck & Pyrmont. «Wir erinnern mit einem Lieblingsgetränk an diese außergewöhnliche Frau, die später Königin der Niederlande war. Anlässlich ihres Geburtstages stoßen wir jedes Jahr mit Emma Gin an», erzählt Hubertus Nottscheid.
Ich habe mir überlegt, ob ich eine Fotografie von Königin Emma aus dem Internet verwenden soll. Aber ich habe es sein lassen, weil ich mir keinen Ärger, keinen Rechtstreit wegen eines Copyrights einhandeln wollte. Kam hinzu, dass ich ein Bild im Schlosshof aufgenommen habe und die in verschiedenen Grössen angebotenen Ginflaschen fotografiert habe. Was ich noch hätte machen können? Die vielen nebeneinaner geparkten Autos mit den gelben niederländischen Autonummern fotografieren können. Denn die Aussage der beiden einheimischen Herren, wonach hier auffallend viele Niederländer ihre Ferien verbringen, trifft zu. Und der pensionierte Frits Maria Kramer aus einem Dorf in der Nähe von Maastricht, den ich auf der Strasse in Waldeck neben seinem Auto ansprach, bestätigte die Aussage der beiden Einheimischen: «We hebben een bijzondere relatie met de omgeving van Waldeck en Bad Arolsen, van waar toch onze Emma komt».
Eingeworfen am x.x.202x
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