„Postcards from Europe“ heisst eine beeindruckende und politisch engagierte Serie von Fotografien von Eva Leitolf.
In dieser Serie untersucht die in Meran und im Chiemgau lebende Fotografin, wie europäische Staaten in Zeiten des Flüchtlingsstroms aus Nahost und Nordafrika mit den Aussengrenzen der EU und den damit verbundenen Konflikten im Innern umgehen. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht das sichtbare Leid von Migranten und Migrantinnen, sondern die Strukturen und Verfahrensweisen, mit denen Europas Gesellschaften auf die Auswanderer reagieren. Für einmal ist somit das Thema der Flucht fotografisch so anders als wir es von Reportagefotografen her kennen. Nicht einzelne Flüchtlinge, ihre Boote oder Rettungswesten stehen im Blickpunkt der Fotografin. Und auch nicht die erschöpften Flüchtlinge. Eva Leitolf hat einen anderen Zugang zum Thema gewählt.
Seit 2006 dokumentiert die Fotografin jene Orte, an denen sich die globale Migration abspielt. Was Leitolfs Arbeiten zusätzlich so besonders interessant macht: Ihre Arbeiten kombinieren Fotografie mit Textelementen – von Polizeiberichten und recherchierten Informationen aus einer Vielzahl von Quellen bis hin zu ihren persönlichen Notizen und Tagebucheinträgen. Zu jeder der im Plakatformat ausgestellten Fotografie gibt es daher eine Textpostkarte mit einem Beschrieb des Ortes, an dem das Bild aufgenommen wurde, und einem Tagebucheintrag der Fotografin, die mit viel Engagement und Beharrlichkeit ihrem Thema nachgeht. Und schön ist, dass man diese Textpostkarten, die an den Ausstellungen neben den Fotografien aufliegen, jeweils als Erinnerung mitnehmen und nochmals lesen kann, was seine Wirkung hat. Denn unberührt bleibt man von diesen Fotografien und Texten nicht. Leitolfs Arbeiten haben eine Langzeitwirkung.
Das Bild mit dem Titel Leitern hat Eva Leitolf in Melilla im Jahr 2006 aufgenommen. Dazu heisst es auf der Textkarte: „Nachdem im Herbst 2005 bekannt wird, dass die spanische Regierung die Sicherungsanlagen verstärken lassen will, versuchen während der folgenden Wochen fast täglich Hunderte von Flüchtlingen, den Grenzzaun um die spanische Exklave Melilla mit selbst gebauten Leitern zu überwinden. Nach Zeugenaussagen setzt die Guardia Civik elektrische Keulen, Tränengas, Gummigeschosse und scharfe Munition ein. Mindestens 14 Menschen sterben aufgrund ihrer Verletzungen durch die messerscharf bewehrten stählernen Grenzzaun oder werden – nach Darstellung der spanischen Regierung – von marokkanischen Soldaten erschossen“.
Ein anderes Bild, auf dem ein Landungssteg am Meer und in der Ferne eine Küstenlinie zu sehen ist, hat die Fotografin am Fährhafen Igoumenitsa in Griechenland im Jahr 2011 aufgenommen. Dazu schreibt sie in ihrem Tagebuch am 3.5.2011: „Während ich im Hafen von Igoumenitsa auf die Fähre nach Ancona warte, demonstrieren einige Hundert aufgebrachte Einwohner für eine „lebenswerte Stadt“ und gegen die „Belagerung durch die Illegalen“ in den Hügeln um den Fährhafen, indem sie die Hafenzufahrt blockieren. Im Lauf der Demonstration beschiesst die griechische Polizei über einen Zeitraum von mehreren Stunden Migranten und deren selbstgebaute Unterkünfte mit Reizgasgranaten. Die Gaskonzentration in der Luft ist teilweise so hoch, dass die im Hafengelände wartenden Reisenden ihre Autos nicht verlassen können.“
Eva Leitolf ist Künstlerin, ordentliche Professorin und Leiterin des Studios Image an der Freien Universität Bozen. Leitolf wurde mehrfach für ihre Arbeiten prämiert. Zu ihren herausragendsten Projekten gehören u.a.: „Rostock Ritz“, eine fotografische Aufarbeitung zu den Folgen der deutschen Kolonialzeit im heutigen Namibia. In ihrer Arbeit „Deutsche Bilder – eine Spurensuche“ setzte sich Leitolf mit dem gesellschaftlichen Diskurs zu fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten auseinander. Arbeiten aus der Serie „Postcards from Europe“ waren in Wien, Turin, Vevey und Hannover und Kassel ausgestellt. Eine Buchpublikation mit demselben Titel ist im Verlag Kehrer, Heidelberg, erschienen. Die beiden Fotos von Eva Leitolf.
Eingeworfen am 13.09.2021
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