Ein Hauseingang, eine Treppe mit sechs Stufen in grauem Beton, rechts und links je eine Wand in rötlich-braunem Backstein. Und direkt vor der Türe des Bürogebäudes leuchtet ein farbiges Tuch. Eine schöne Fotografie aus Paris, aufgenommen hat sie die Genfer Fotografin Emmanuelle Bayart. «Dans les plis de la ville» heisst eine Serie von Bildern aus den Jahren 2012 – 2018, Ergebnis einer Spurensuche am Pariser Stadtrand. Den Begriff «plis» könnte man in diesem Fall mit Bruchstellen übersetzen. Unter dem farbigen Tuch, für den Bildbetrachter nicht sichtbar, liegt eingewickelt ein Mensch, ein Obdachloser. Andere Fotografien aus derselben Serie lassen die Obdachlosen auf Parkbänken oder unter Autobahnbrücken nicht sofort erkennen.
Zeitgenössische Fotografinnen und Fotografen aus dem In- und Ausland zeigen bis Ende Mai an verschiedenen Orten in Biel im Rahmen der Bieler Fototage ihre Fotografien. Man wandert durch die Stadt von einem Ausstellungsort zum nächsten: Biel feiert zum 24. Mal die Fotografie. Vor einem Jahr mussten die Fototage wegen der Pandemie ausfallen. Bayarts Bild ist in der Gewölbe Galerie an der Obergasse zu sehen. Die Suche nach der eigenen Identität, Klimawandel, Migration, wirtschaftlicher Wandel sind Themen der diesjährigen Fototage, die in zwei Museen, draussen auf der Strasse und in Galerien gezeigt werden. Marwan Bassiouni, zu seiner Biografie heisst es «a Swiss-Egyptian-American artist», mit Wohnsitz in Den Haag nennt seine Fotoserie «New Dutch Views». Über 70 Moscheen hat er in Holland aufgesucht. Seine in Innenräumen der Gotteshäuser frontal aufgenommenen Hochformatbilder wirken wie Fenster in die Aussenwelt und leiten einen formalen Dialog zwischen den beiden Räumen ein: Vorne der orientalische Teppich und die Verzierung der Wände wie sie häufig in Moscheen anzutreffen ist und draussen die Backsteinhäuser, die man aus den Niederlanden kennt, Teppichfarbe und die Farbe der Umgebung jeweils aufeinander abgestimmt: rötlicher Teppich und rötliche Hausmauern, grauer Teppich und grauer holländischer Nebel. Bassiounis Fotos derzeit zu sehen im Photoforum Pasquart.
Ang Song Nian aus Singapur hat während eines Jahres Tag für Tag den Verschmutzungsgrad seiner Stadt fotografisch dokumentiert. Wie Kacheln, die zuerst hell waren und dann grau werden, sehen seine Bilder aus, auf denen nichts als quadratische Grau-Schmutzwerte zu sehen sind. Der Belgier Sébastien Cuvelier nennt seine Bilderserie «Paradise City». Im Jahr 2007 erhielt er von seiner Mutter das Tagebuch eines verstorbenen Onkels, der in den 70er Jahren – noch zu Zeiten des Schahs – eine Reise in den Iran unternommen hatte. Cuvelier reiste mehrmals auf den Spuren seines Verwandten durch den Iran und kombiniert Auszüge aus dessen Tagebuch und Briefen mit der Realität eines Landes im Wandel. Malgorzsatsa Stankiewicz aus Polen zeigt auf drei grossen Fotos in schwarz-weiss unter dem Titel «cry of an echo» die Natur des polnischen Bialowieza Walds im gleichnamigen Nationalpark. 46 Bilder umfasst ihre Fotoserie. Im Jahr 2016 genehmigte der polnische Umweltminister unter dem Vorwand seines Schutzes eine grossflächige Abholzung in den Gebieten des bis dahin von jeglichen menschlichen Eingriff ausgeschlossen waren. Stankiewicz hat die Wälder fotografiert. Die Arbeiten zur Spurensuche im Iran, zu den Wäldern in Polen und zur Umweltverschmutzung in Singapur liegen auch in je einem Künstlerbuchexemplar an den Fototagen auf und überzeugen ebenso wie die Fotoinstallationen.
«We are all going home» heisst eine grosse Arbeit der Schweizerin Aline d’Auria: Ihre Bilder-, Video- und Interviewserie hat sie im Auftrag der Stadt Chiasso ausgeführt. Osteuropäerinnen, die in der Grenzstadt Gastarbeiterinnen sind, hat sie fotografiert, sie hat sich von ihnen erzählen lassen, wie das Leben im schweizerischen Ausland ist und hat sie auf der Heimreise vor vorbeiziehender Landschaft im Bus mit einer Videokamera aufgenommen. Eine Bild-.und Spracharbeit ist da entstanden, die von Migration, Arbeit fern der Heimat und Heimweh erzählt.
An elf verschiedenen Orten in der Bieler Innenstadt finden die diesjährigen Fototage statt, der Start ist im Museum Pasquart, das sich seit vielen Jahren der Fotografie widmet. Eine Fotoschau, die zeigt, wie sich junge Fotografinnen und Fotografen mit gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen. 13 807 Schritte hat der Schreibende laut Pedimeter in Biel auf dem Weg entlang der Bilder gemacht und dabei die schöne Bieler Jahrhundertwendearchitektur und die schmucke Altstadt erlebt. Empfehlenswert ist ein Kaffeehalt im rückwärtigen Park des NMB, des Nouveau Musée Bienne, wo man in einer grünen Oase in bequemen Stühlen sich die grossflächige Arbeit von Eva Maria Gisler mit dem Titel «Hang» anschauen kann: Vor einer Gruppe von Bäumen hat sie eine grossflächige Fotografie platziert, auf der ein abfallverschmutzter Abhang zu erkennen ist. Konsum und dessen Folgen werden einem hier in einer idyllischen Parklandschaft bewusst gemacht. Und noch etwas: Wer sich am Place de la Fontaine die Fotoinstallation von Nora Papp, die mit Instagram zu tun hat und dank Instagram erstellt werden konnte, der sollte sich unbedingt noch Zeit für die zweisprachige Buchhandlung Librairie Bostryche nehmen. Einzig die Signaletik, die Führung von einem Schauplatz zum nächsten dürfte wohl etwas besser sein.
Die Bieler Fototage 2021 dauern bis Ende Mai. https://www.bielerfototage.ch/de/home.html
Eingeworfen am 17.5.2021
0 Kommentare