Mehr als Oberarm und Injektionsnadel

Mitarbeiter des Sanitätsdienstes unterwegs in einem Boot im Amazonas mit Impfstoff für Dorfbewohner

Autor: Michael Guggenheimer

Wie bebildert man Covid 19 in der Zeitung oder in der TV-Tagesschau? Als sich vor etwas mehr als einem Jahr die Pandemie in rasender Geschwindigkeit ausbreitete waren es die Bilder vom Konvoi der italienischen Armeelastwagen aus Bergamo, die die Wucht der Pandemie zeigten. Bilder, die erschütternd waren. Man sah zwar die vielen Toten nicht, die aus der Stadt transportiert wurden, aber man stellte sie sich vor. Dann kamen die Bilder von den hoffnungslos ausgelasteten Krematorien in Sachsen. Drei Särge auf einander gestapelt. Und das gleich mehrfach. Sargladungen auf Rädern wartend auf die Einäscherung. 

Jetzt, da überall geimpft wird, sind Abend für Abend in den Nachrichtensendungen der TV-Sender immer wieder die zwei gleichen Szenen in zahlreichen Variationen zu sehen. Ein Bild, das aus England oder den Niederlanden, aus den USA oder der Schweiz kommen kann, zeigt jeweils die Halle, die Kirche oder das Stadion, wo die Massenimpfungen stattfinden. Leere Tische so weit das Auge reicht. Alles bereit für den Ansturm. In den Medien noch präsenter ist aber dieses Bild in zahlreichen Varianten: Eine Krankenschwester, eine Ärztin oder ein Arzt hält die Spritze mit der überlangen Nadel in der Hand und vollzieht am Oberarm einer meist älteren Person den Piks. Manchmal meint man, die Person in den weissen Kleidern nehme noch Anlauf, um ja mit Treffsicherheit punktgenau  ihr Ziel zu erreichen. Ich gebe zu: Wenn die Nadel sticht, schaue ich weg. Und das obschon ich ja geimpft bin. Und obwohl ich von der Impfung fast nichts gespürt habe. Und ich habe diese Impfbilder schon so häufig gesehen. Oder noch genauer: ich habe jeweils ganz kurz und für die Dauer eines Pikses weggeschaut. 

Es geht aber auch anders! Das in Washington erscheinende Magazin The Atlantic zeigt in 35 Fotos, wie man den weltweiten Kampf gegen die Pandemie auch in berührenden Bildern erzählen kann, die mehr als einen Arm, eine Ärztin und eine Injektionsnadel zeigen. Eröffnet wird die Bilderserie mit einem klassischen Bild aus Brasilien: Der Bildausschnitt zeigt eine sitzende Frau mit Maske, die eine Injektionsnadel anschaut. Noch ist kein Oberarm zu sehen, in dem die Injektionsnadel steckt. Das zweite Bild zeigt ebenso eine Szene, wie wir sie schon vielfach gesehen haben: In einer Halle in Seattle sind schmale Tische zu sehen, bei jedem Tisch stehen drei Stühle, an den vorderen Tischen medizinisches Personal auf der einen Tischseite, Impfwillige auf der anderen Seite. Die Tische sind nummeriert, am Tisch Nummer 13 steht ein Mitarbeiter, der eine Tafel hochhält, auf der HELP 13 steht. Offenbar gilt es da eine Frage zu klären und wartet man auf eine Ärztin oder Arzt. 

Und dann zeigt The Atlantic, wie der Kampf gegen die Pandemie in Bildern auch präsentiert werden kann. Ein breiter Fluss, schwere dunkle Wolken, ein schmales Boot mit Aussenbordmotor, drei Medizinalpersonen in weissen Overalls und Schutzmasken, sogar ihr Haupthaar ist mit weissen Kopfbedeckungen versehen, so vorsichtig ist man hier in dem Land, dessen Präsident Corina mit einer leichten Erkältung verglichen hat. Das Bild aus den Amazonas: Es sind drei Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde, die den Fluss Solimoes hinauf fahren, um Menschen in Siedlungen am Fluss zu impfen. Fotografiert hat das Bild Bruno Kelly von der Agentur Reuters. 

Und wiederum ein untypisches Bild: Zeigen die Fernsehsender die Herstellung der Impfstoffe, dann sieht man Abend für Abend eine Art Förderband, wo die Ampullen zu Hunderten mechanisch nach vorne geschoben und ruckweise gestossen  werden. Anders The Atlantic: Sechs Mitarbeiterinnen eines Pharmabetriebs in Sao Paulo kontrollieren Ampullen, die vor ihnen auf einem Förderband geschoben werden. Dann ein Bild aus Delhi: Ein Mann, der gerade eine Spritze erhalten hat, fotografiert mit seinem Smartphone das Plakat mit der Aufschrift «I got my Covid-19 vaccine today!». Auf einem anderen Bild ein geländegängiger Lieferwagen des Roten Kreuzes von Zimbabwe, der eine Furt durchquert: Das Covid-19 Impfteam unterwegs zum Dorf Jari, wo Menschen darauf warten geimpft zu werden. Oder ein anderes Bild: Ein Mann und eine Frau, beide an ihren weissen Kleidern als Mitarbeiter eines Gesundheitsdienstes erkennbar, tragen schwere Rucksäcke und sind zu Fuss auf einem Bergpfad unterwegs: Es ist ein Bild aus der Osttürkei: Doktor Akay Kaya und Krankenschwester Yildiz Ayten  vom Bahcesaray Krankenhaus sind unterwegs ins abgelegene Dorf Guneyyamac,  um dort jene Bewohnerinnen und Bewohner zu impfen, die älter als 65 Jahre alt sind. Aus der gotischen Kathedrale von Lichfield in der Grafschaft Staffordshire in England die Fotografie einer Krankenschwester, die gerade eine Spritze in der Hand hält. Einzig die Krankenschwester ist zu sehen und die hohe Kirche, keine Patientin, kein nackter Oberarm. Aus Chennai in Indien eine Fotografie auf der Arbeiterinnen zu sehen sind, sie stehen hintereinander, dicht gedrängt, alle tragen sie eine Maske und sie halten dem Fotografen ihre noch leeren und ungestempelten Impfausweise entgegen. Berührend eine Fotografie aus Nablus in Palästina: Ein alter Mann mit einer Kefiye, der typischen arabischen Kopftuchbedeckung, hört sich offenbar die Erläuterung einer Mitarbeiterin des Gesundheitsdienstes an, bevor er eine Spritze bekommt. Und nicht minder bewegend das Bild vom 102 Jahre alten Leonidas de Jesus Gonzalez im  kolumbianischen Medellin, der aus Dankbarkeit die Hand einer Krankenschwester küsst bevor er geimpft wird.  

Alle 35 Bilder im Magazin The Atlantic: https://www.theatlantic.com/photo/2021/03/photos-great-vaccination-campaign/618462/

Das Bild aus den Amazonas hat Bruno Kelly / Reuters gemacht

Eingeworfen am 1.4.2021

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