Fotografieren, was da ist: Max Jacoby

Der amerikanische Modefotograf Kim Powell bei der Arbeit

Autor: Michael Guggenheimer

«Man kann nur fotografieren, was da ist. Aber nicht jeder kann sehen, was da ist und was man noch alles daraus machen kann». 

Der Satz stammt vom deutsch-argentinischen Fotografen Max Jacoby (1919 – 2009), der in Koblenz aufgewachsen ist, in Berlin das Gymnasium besucht und anschliessend eine Ausbildung in der Inneneinrichtung und Plakatschrift belegt hat. Eigentlich hatte er Fotograf und Kameramann werden wollen, doch die Ausbildungsstätte, die er besuchen sollte, nahm nach 1936 keine Juden auf, Jacoby musste sich für eine andere Ausbildung entscheiden. 

Dass er sich eines Tages zuerst in Argentinien und dann in Deutschland dennoch als Fotograf einen Namen machen würde, ahnte der 19 jährige Jacoby bei seiner Flucht aus Deutschland im Herbst 1937 nicht. Mit gefälschten französischen Papieren und rudimentären Spanischkenntnissen kam er in der Silvesternacht in Buenos Aires an, versuchte sich dort zunächst als Handelsvertreter ohne wirklich auf einen grünen Zweig zu kommen. Luis Krausz berichtet in einem Aufsatz zum Thema «Deutsch-jüdische Fotografen in Brasilien», dass Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland ihre Leica mit nach Übersee nehmen konnten und sich dank der handlichen Kleinbildkamera eine Existenz als Fotografen aufbauen konnten. Der junge Max Jacoby, der so gerne ein Fotograf geworden wäre, kam mittellos und ohne Kamera in Argentinien an, konnte sich nicht einmal als Fotograf ausweisen. 

Ein Zeitungsinserat brachte die Wende. Gesucht wurde ein Kameramann. Jacoby, der sich wohl etwas überschätzte meldete sich und lernte 1939 den ebenfalls exilierten ungarischen Fotografen George Friedman (1910 – 2002) kennen, der bereits in Frankreich als Mitarbeiter von Paris Match erfolgreich war. Max Jacoby wurde während drei Jahren Friedmans Assistent und erlernte so den Beruf des Fotografen. In seinen ersten Jahren als selbständiger Fotograf ab 1941 gehörten Schulklassenaufnahmen, die Herstellung von Vogelperspektiv-Ansichtskarten von Buenos Aires sowie Modebilder und Arbeiten als Industriefotograf zu seinen Aufträgen. Als Mitbegründer einer Fotografenvereinigung beeinflusste der von Friedmans europäischen Fotoästhetik geprägte Jacoby die Nachkriegsfotografie Argentiniens. Als Pressefotograf arbeitete Jacoby für die grosse argentinische Illustrierte Mundo Argentino und konnte sich mit den Jahren einen guten Kundenstamm aufbauen. 

Und dennoch: War’s eine Sehnsucht nach der alten Heimat und ihrer Sprache oder die prekäre wirtschaftliche Lage in Argentinien: knapp zwanzig Jahre nach seiner Flucht aus Deutschland kehrt Jacoby zurück und versucht sich als Fotograf in West-Berlin. Berliner Szenen, die Kultur in der geteilten Stadt, Aufnahmen von der Stadtsanierung, Bilder für Broschüren über die Stadt und Werbefotografie: Jacoby wird zu einem der bekannten und gefragten Stadtfotografen Berlins. Er porträtiert Arbeiter und Künstler, Bettler und Politiker und dokumentiert das politische Leben und den Alltag in der geteilten Stadt. Auch wenn Jacoby zahlreiche Architekturaufnahmen gemacht hat: Im Zentrum seines Interesses stehen Menschen. Künstlerinnen und Künstler aus den verschiedensten Kunstsparten fotografiert er besonders gerne. 

Jacoby sieht sich nicht als Fotokünstler, er ist der Beobachter, der dem Dokumentarischen verpflichtet ist, er hält unspektakuläre Szenen fest. Auf Reisen nach New York fotografiert er intensiv. In dieser Zeit heiratet er die Schauspielerin und Kinderbuchautorin Hilla Gerberding, die seine Assistentin wird. Fortan tritt sie auch als Fotografin in Erscheinung, wobei man heute bei manchen Aufnahmen nicht entscheiden kann, ob sie oder er sie gemacht hat, so sehr ähneln sich ihre Arten des fotografischen Festhaltens. 

Max Jacoby, Selbstportrait, 1970

Begegnungen in den USA führen die beiden zur Gruppe der «messianischen Juden», Juden, die an Christus glauben. Hilla und Max Jacoby besuchen mehrmals Israel und die besetzten Gebiete, veröffentlichen in den kommenden Jahren vierzehn grossformatige Bildbände über das Heilige Land mit Titeln wie «Jesus Christus, Hoffnung für die 80er Jahre», «Die Juden – Gottes Volk», «Das Wunder Israel / Israel – the miracle», «Mit Jesus unterwegs: eine Fotoreise durch das Heilige Land» oder «Bilderreise durch das biblische Land». So seltsam (und wenig erforscht) die Zugehörigkeit zur Gruppe der christusgläubigen Juden ist, so überzeugend sind die Farbaufnahmen aus dem Heiligen Land. Und auch so anders als fast das gesamte fotografische Werk Jacobys in Schwarz-Weiss. Auffallend auch der Weg von der hochformatigen Fotografie zum breiten Bild. Hilla und Max Jacoby erwogen übrigens eine Umsiedlung nach Jerusalem, die dann doch nicht stattfand. 

In einer Ausstellung im Landesmuseum Koblenz wurde im Jahr 2003 Max Jacoby in seiner ersten Heimatstadt geehrt. «Bilder der 60er und 70er Jahre» lautete der Titel der Ausstellung. Das grosse Bild mit dem Titel Perspektiven stammt aus dem Katalog der Ausstellung. Es zeigt den amerikanischen Modefotografen Jim Powell bei der Arbeit. Aufgenommen wurde das Bild in München. Das kleine Bild: Max Jacoby, Selbstporträt 1970. Beide Bilder aus dem Koblenzer Katalog. 

Eingeworfen am 22.3.2021

2 Kommentare

  1. Du erzählst Geschichten, denen man wie einem Video folgt. Wunderbar.

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  2. In Koblenz lebten meine Großeltern; sie zogen nach dem Krieg von Berlin dort hin. Unsere Familie lebte 50 km entfernt von Koblenz.
    Ich machte dort eine Ausbildung in einer Werbeagentur und studierte 3 Semester lang an der FH, bevor ich 1974 nach Berlin zog.
    Fotograf Jacoby war mir nicht geläufig; die Museen dort haben sich gut gemacht.

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