Fotobücher sind häufig grossformatig. Und geht es um Fotografie heute, dann sind die in diesen Büchern publizierten Bilder zumeist farbig. Ein Berner Autor und ein Bieler Verlag gehen mit einer neuen Publikation einen anderen Weg. Das Format ist etwas grösser als ein Taschenbuch, die Buchhülle ist bildlos schwarz, die Bilder im Buch sind häufig schwarzweiss. Das Buch ist mehr ein Textbuch mit begleitenden Fotografien. Beschrieben werden Wege der Fotografie entlang den Biografien von über zwanzig Fotografen und Beschreibungen ihrer Werke. Jeder Beitrag zwei bis drei Buchseiten lang. Und der Autor, das wird bei der Lektüre bald klar, ist ein Kenner der Fotografie. Zu jedem vorgestellten Fotografen hat er mit Bedacht ein passendes Bild aus dessen Werk ausgewählt.
Autor der Publikation ist Bernhard Giger, ausgebildeter Fotograf, Zeitungsredaktor, Filmemacher, von 2009 bis 2020 Leiter des Kornhausforums Bern, wo er Fotoausstellungen zusammengestellt und jeweils mit einem Referat eröffnet hat. Daher der Titel des Buchs «Referate über Fotografie 2009 – 2020». Carl Durheim, 1810 geboren, ist der früheste im Buch vorgestellte Fotograf. Augusta Flückiger, 1868 geboren, die früheste Fotografin, die Giger vorstellt. Robert Frank dürfte der berühmteste unter ihnen sein, Pio Corradi kennen wohl die meisten Schweizer als Kameramann und weniger als Fotograf. Die Studentinnen und Studenten des Studiengangs redaktionelle Fotografie am Medienausbildungszentrum Luzern dürften die jüngsten unter den vorgestellten Bildmachern sein. Man liest die Beiträge, schaut sich die Bilder an und bedauert, dass man in all den Jahren nichts von diesen Ausstellungen wusste, die im Veranstaltungskalender der eigenen Stadt nicht vorkamen.
Gigers Texte weisen eine grosse zeitliche Spannweite auf. Er geht der Geschichte und Entwicklung des Berufs des Fotografen nach, der in den Anfangsjahren der Fotografie im Atelier Porträtaufnahmen machte, er zeigt die Bedeutung von Zeitschriften und Zeitungen für die Reportagenfotografie auf sowie ihren Niedergang im Zeitalter der Smartphonefotografie und der Sparmassnahmen der Medienbranche. Giger beschreibt wie junge Leute Fotografen wurden (oder werden wollten), weil sie mit diesem Beruf die Welt erkunden wollten. Er geht den Biografien jener Schweizer Fotografen nach, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Grenzen wieder passieren wollten, die während des Krieges geschlossen waren. Er zeigt aber auch, wie wenig lukrativ der Beruf sein konnte (und sein kann). In einer Zeit, in der ein Fotogeschäft nach dem anderen schliesst, weil Kameras entweder im Onlinehandel verkauft werden oder den meisten Hobbyfotografen ein Smartphone als Kamera genügt. Da erstaunen manche Beobachtungen Gigers: Für die Jahre 1860 bis 1900 hat er in der Stadt Bern 90 Namen von Fotografen ausfindig gemacht!
Persönlich wird das Buch, wenn Giger beschreibt, wie er als Lehrling bei Fotograf Albert Winkler in den auftragsarmen Sommerferienwochen fotografische Aufgaben lösen musste. Wie sehr die Arbeit von Fotografen vergessen gehen kann und Jahre später wiederentdeckt wird, zeigt Giger anhand der Bilder von Fotograf René Groebli, dessen markantes Frühwerk im Bereich der Fotografie bewegter Objekte in Vergessenheit geraten war. Von Groebli sprach man später nur noch in Zusammenhang mit dessen Farbfotografie. Erst viel später wurden Groeblis frühe Bilder wiederentdeckt.
Eine Art Wiederentdeckung ist auch die Geschichte von Fotopionier Jean Moeglé. Der Fotograf war zu Reichtum gekommen, verlor sein Geld bei einem Hotelprojekt und geriet in Vergessenheit. Als sein Atelier Jahre nach seinem Tod geräumt wurde und Fotoplatten in einer Mulde landeten, war es der Passant Werner Krebser, der 3000 Platten vor der Vernichtung retten konnte. Dass die Fotos von Berns erster freien Fotografin Augusta Flückiger noch heute existieren, ist einem späten Fund von Kartoschachteln voller Fotoplatten und dem Kulturjournalisten Konrad Tobler zu verdanken, der den Nachlass gesichert und aufgearbeitet hat. So sind Fotografien, erhalten geblieben, die die Fotografin Ende des 19. Jahrhunderts in Ägypten, Palästina und Syrien mit einer schweren Stativkameras aufgenommen hat.
Giger kann Fotografien so treffend beschreiben, dass man sie sogar zu sehen meint, wenn sie im Buch gar nicht vorkommen. Politisch engagierte Fotografen kommen im Buch vor. So etwa Fotograf und Textjournalist Peter Dammann, der Strassen- und Heimkinder in Russland fotografierte und wiederholt die Bilder dahin zurückbrachte, wo er sie fotografiert hat wie in Ausstellungen in St. Petersburg, Tbilisi, Gaza-City, Jerusalem und Ramallah. Giger hat seine Vortragstexte für die Publikation nicht umgeschrieben. Immer wieder spricht er in den Texten sein Ausstellungspublikum an. Die vorgestellten Fotografen haben alle eine Beziehung zu Bern. Entweder sie sind im Kanton Bern aufgewachsen oder dorthin gezogen. Es kann aber auch sein, dass Giger ihnen in Bern begegnet ist und ihre Werke ausgestellt hat.
Vielfältig sind die Wege zur Fotografie. Da finden sich direkte Wege von der Lehre zum Beruf wie solche von Autodidakten und von Spätberufenen. Jürg Ramseier etwa war ausgebildeter Sozialarbeiter, um den Beruf nach Jahren aufzugeben und sich in New York zum Fotografen ausbilden zu lassen. Da finden sich unter den vorgestellten Fotografen, solche, die immer noch und mit Passion analog fotografieren. Nicola Schmid etwa muss stets bei der Planung seiner Reportagen daran denken, genügend Filme mitzunehmen. Gigers Referate zeigen die Entwicklung eines Berufs, stellen Fotografinnen und Fotografen vor. Eine schöne Publikation am Ende seiner Zeit als Ausstellungsmacher.
Das grosse Bild stammt aus dem beschriebenen Buch. Gigers Fotolehrer Albert Winkler hat es um 1965 in Peniscola, Spanien aufgenommen. Auf dem kleinen Bild Fotograf, Kulturredaktor, Filmemacher und Ausstellungsmacher Bernhard Giger.
Referate über Fotografie 2009 – 2020 ist bei edition clandestin, Biel, erschienen.
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