Fotobüchersammler Gabathuler

Das ist die Geschichte von dem Mann, der auf dem Weg von seinem Schlafzimmer in sein grosses und spezialisiertes Bücherreich bloss eine Tür öffnen muss. Es ist die Geschichte von dem Mann, dessen verwinkelte Wohnung auch seine Bibliothek ist und dessen Bibliothek nicht einfach eine oder zwei oder drei Bücherregale aufweist. Ein ganzes Stockwerk, soweit der Blick reicht, Zimmer für Zimmer: überall volle Büchergestelle, Bücher dicht an dicht. Es ist die Geschichte von einem Mann, der seit über 40 Jahren Bücher zur Fotografie und zur Fotogeschichte sowie zur künstlerischen Entwicklung der Fotografie sammelt. Andere mögen an die hundert Bücher zur Fotografie haben, wiederum andere mehrere hundert, Hans Rudolf Gabathuler lebt inmitten von mehreren tausend Büchern und Zeitschriften zu diesen Themenbereichen. Und während andere Privatpersonen, die eine thematisch spezialisierte Fachbibliothek besitzen, den Standort einzelner Bände meistens in etwa kennen, vielleicht eine herkömmliche Kartei mit Titel und Autor führen, hat er seit Jahren alle seine Bücher und auch gleich noch eine Masse einzelner Zeitschriftenartikel im Computer erfasst. Sein Ziel ist ehrgeizig, hat er doch den Anspruch, „die Geschichte der Fotografie in ihrer Gesamtheit in Originaldokumenten darzustellen“. Im Sammelbereich 20. Jahrhundert liegt das Schwergewicht von Gabathulers Sammelleidenschaft auf der künstlerischen Entwicklung der Fotografie. In einer illustrierten Broschüre, die er interessierten Besuchern abgibt, stellt er 100 Highlights aus seiner Sammlung vor.

Sammler und Fotokenner Hans Rudolf Gabathuler wohnt im schmucken Städtchen Diessenhofen am Rhein. Von seiner Dachterrasse aus blickt er auf die Dächerlandschaft von Diessenhofen und hinüber nach Gailingen in Deutschland. Mehr zu sehen als vom Balkon aus gibt es im Innern seines Bücherreiches, das er in eigener Hände Arbeit eingerichtet hat. Da lassen sich die bedeutendsten Spuren der Fotogeschichte anschauen. Da sind einerseits die vielen Bücher, deren Umschlag eine Fotografie aufweist. Nicht einfach irgendeine Fotografie, handelt es sich doch zumeist um die Fotografien bekannter und berühmter Fotografen. Monografien einzelner Fotografen, die ohne Schutzumschlag sind, gibt es hier keine. Inhalt und Hülle einer Publikation bilden für Hans Rudolf Gabathuler eine wichtige ästhetische Einheit. Schweizer Fotografen? Sie sind alle in den Gestellen der Photobibliothek mit Büchern vertreten. Und zu jedem Buch, zu jedem Fotografen hat Sammler Gabathuler, ein wandelndes Lexikon zur Fotografie, etwas zu erzählen, als seien die Fotografen seine Freunde. Hört man ihm zu, dann wird einem klar: Sie sind seine Freunde, auch jene, die er nicht persönlich kennt.

Man geht den Büchergestellen entlang und macht Entdeckungen. Tom Gidal, einer der Pioniere des modernen Fotojournalismus, ist hier mit seinen Fotobüchern vertreten. Fotograf Gidal promovierte an der Universität in Basel über das Verhältnis von Bildberichterstattung und Presse, 1934 dokumenierte er den 13. Psychoanalytischen Kongress und arbeitete mit lichtstarken Kameras. Aber auch Erich Salomons Buch „Berühmte Zeitgenossen in unbewachten Augenblicken“ aus dem Jahr 1931 ist da: Salomon machte mit seiner legendären Ermanox an wichtigen politischen Konferenzen unbemerkt noch nie zuvor gesehene Aufnahmen ohne Stativ und ohne Blitzlicht. Man steht in der Photobibliothek, erwähnt den Namen irgendeines Fotografen und schon ist Hans Rudolf Gabathuler mit zwei oder drei Bildbänden zur Hand. Helmar Lerski? Da sind die Bilder des Fotografen aus dem Zürcher Quartier Sihlfeld, den es über Milwaukee nach Berlin zog. 1936 entstand seine Fotoserie Metamorphosen. Von einem einzigen jungen Mann fertigte er rund 140 fotografische Großaufnahmen des Gesichts an. Sammler Gabathuler bringt Lerskis berühmtestes Buch, in dem er Bewohner Palästinas in den 30er Jahren fotografierte und so zeigte, dass jüdische und arabische Bewohner Palästinas häufig nicht voneinander zu unterscheiden sind. Wie konnte es passieren, dass sich die Vertreter der beiden Völker so spinnefeind sind, fragt man sich beim Betrachten der Bilder. Und gleich ist auch Robert Capas „Death in the Making“ aus dem Jahr 1938 zur Hand. Sein Bild des von einer Gewehrkugel getroffenen sterbenden Soldaten wird oft als das „berühmteste Foto der Welt“ bezeichnet. Ob die Aufnahme gestellt ist, ist bis heute und nach vielen Essays immer noch nicht geklärt.

Schätze in den Büchergestellen. Zum Beispiel in einer Vitrine alle Erstausgaben von Robert Franks richtungsweisendem Bildband „The Americans“, so auch die japanische Ausgabe. Franks Buch wurde von einer internationalen Runde von renommierten Fotohistorikern und Fotobuchpublizisten, zu der auch Gabathuler gehörte, als das bedeutendste Fotobuch aller Zeiten deklariert. Jakob Tuggeners Fotoband „Fabrik“ sei für ihn neben „The Americans“ das wichtigste Schweizer Fotobuch, sagt Gabathuler. Er bückt sich und zeigt in einem Regal die Sammlung aller Ausgaben der Zeitschrift Camera. Von der ersten Nummer im Jahr 1922 bis zur allerletzten vom Dezember 1981. Die bedeutende Zeitschrift, die in Luzern von Allen Porter redigiert und gestaltet wurde, hatte zu ihrer Glanzzeit eine Auflage von 50 000 Exemplaren. Lückenlos auch alle Bände der Zeitschrift „Das deutsche Lichtbild“, des weiteren alle Ausgaben der Kulturzeitschrift DU, die Fotografen und der Fotografie gewidmet sind. Die neuen Ausgaben der Zeitschriften „Fotogeschichte“, „Rundbrief Fotografie“ und „European Photography“ treffen hier immer noch regelmässig ein. Ebenfalls in einem der Gestelle alle die Silvabände von früher, aber nur solche, in die Bilder von Schweizer Fotografen von Hand eingeklebt wurden. Frühe Ausgaben der fotografisch hervorragenden Zürcher Ilustrierten führt Gabathuler. Hermann Stauder ist ein Schweizer Fotograf, der in Diesenhofen vertreten ist. Er fotografierte Menschen auf dem Land. Gabathuler zeigt das Buch „Schweizer Volkstypen“, ein Buch voller Bilder von Menschen aus der Schweiz, Stauders Name aber ist im ganzen Buch nicht erwähnt. Weshalb dies so ist, bleibt ein Rätsel.

Sammler Gabathuler in seiner Bibliothek

Hans Rudolf Gabathulers Photobibliothek wird von etwa 50 Personen im Jahr aufgesucht. Meistens sind es Fotohistoriker, die bei ihm vorbeischauen. Die Bibliothek ist eine reine Präsenzbibliothek, eine Ausleihe oder gar eine Fernausleihe sind nicht möglich. Kein Wunder, dass der Sammler von Fotobüchern auch fotografiert, heute zwar weniger als früher, In einer Vitrine sind seine eigenen Kameras zu sehen. Erst wenn man ihn dazu drängt, zeigt er schwarz-weisse Bilder, die er selber aufgenommen hat. Da wird deutlich: Dieser Mann weiss nicht nur alles über Fotografie, er macht auch hervorragende Bilder. Stolz ist der Privatbibliothekar über die beiden Bände von „Autopsie“ aus dem Steidl Verlag über deutschsprachige Fotobücher der Jahre 1918 bis 1945 mit einem Aufsatz, den er verfasst hat.

Seine Sammlung einfach eine unter vielen? Keinesfalls! Hier die Einschätzung von Peter Pfrunder, Direktor der Fotostiftung Schweiz, über die Büchersammlung in Diessenhofen: „Hans Rudolf Gabathuler hat im richtigen Moment ein wenig beachtetes Kulturgut zu sammeln begonnen. Das Photobuch hat heute in der Forschung und Auseinandersetzung mit Fotografie einen wichtigen Stellenwert. Gabathulers Verdienst ist, dass er die wichtigsten Werke der Photobuchgeschichte zusammengetragen und auch erforscht hat. Seine Photobibliothek wird inzwischen international beachtet“. (Der Beitrag ist zuerst erschienen bei buchort.ch) 

Eingeworfen am 21.1.2024

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