Lange bevor der Klimawandel Thema von grossen Demonstrationen geworden ist, hat sich der Schweizer Andreas Züst (1947 – 2000) in die Arktis begeben, wo er als Mitglied einer Forschungsequipe mehrere Monate weilte. Der Forschungsassistent für Ozeanographie und Glaziologie an der ETH war ein begnadeter (und manischer) Fotograf. Das Kunstmuseum Luzern zeigt zwanzig Jahre nach seinem Tod Fotografien, die er auf Grönland gemacht hat. Züsts Fotoarbeiten im kalten Norden sind frei von klimapolitischen Schreckensaufrufen. Seine Bilder zeigen Container-Forschungscamps in Schnee und Eis, wuchtige Kettenfahrzeuge unterwegs im Weiss, Frachtflugzeuge der US-Luftwaffe auf Thule, Schlittenhunde und in dicken wärmenden Kleiderschichten eingepackte Menschen, die sich in der eiskalten weissen Landschaft bewegen. Züsts grosse Privatbibliothek, deren Themenspektrum von Belletristik bis zu den Naturwissenschaften reicht, ist heute im ehemaligen Gasthof Alpenblick im appenzellischen Oberegg zugänglich. Und natürlich befinden sich dort in Wissenschaftsteil der Bibliothek nicht wenige Bücher zum Thema Eis und Schnee. Züsts Bilder von der Welt des Eises reichen von mikroskopisch fokussierten Eisbildern bis hin zu Fotografien von steil aufragenden hohen Eisbergen. Leider sind die meisten der in Luzern ausgestellten Fotos (siehe unteres Bild) von der Polarregion nur wenig grösser als Ansichtskarten. Wirkungsvoller als in der Ausstellung kommen die Bilder vom Schnee und vom Eis im Buch «Pursuit of Wonders» in der Edition Patrick Frey zur Geltung. Andreas Züst war stets mit seiner Kleinbildkamera unterwegs, ob auf Forschungsreisen oder an Vernissagen. Mit ihr erfasste und ordnete er seine Welt. Höchste Zeit für eine grosse Ausstellung seiner Fotos, die nicht in der Arktis entstanden sind!
Eis und Kälte nochmals. Derzeit im Kunsthaus Aarau zu sehen. Fast zwanzig Jahre nach Züsts Tod fotografiert der Westschweizer Julian Charrière (*1987) in der Antarktis und vor Island Eisberge. Man ist versucht, seine Folge von riesig projizierten Fotos nach Christoph Ransmayrs Romantitel «Die Schrecken des Eises und der Finsternis» zu betiteln. Anders als Züsts Aufnahmen zeigen Charrières Bilder menschenleere Landschaften, aufgenommen zu einer Zeit und in einer Weise, da man den Künstler auch als Umweltaktivisten betrachten könnte. Seine monumentale Video – Installatiion heisst «Towards No Eaerthly Pole» und zeigt in einem tiefschwarz gehaltenen grossen Raum die Schroffheit, Schönheit und unendliche Weite der arktischen Landschaft. Mit Hilfe von zwei Drohnen hat Charrière die Folge der Bilder gemacht, die projiziert die Länge eines Spielfilms erreichen. Eine Drohne beleuchtet in tiefer Nacht die Strukturen der Eisberge, die andere Drohne, mit einer Kamera ausgerüstet, folgt dem Licht, was einzigartige Bilder erstaunlicher Formen erzeugt. Kommt eine Soundkulisse hinzu, die dem Ganzen eine besondere leicht bedrohliche Stimmung verleiht. Das wandernde Licht lässt Bilder entstehen und wieder verschwinden. Eine Fotoserie Charrières mit dem Titel «The Blue Fossil Entropic Stories» gilt als «Versinnbildlichung für den aktuellen menschengemachten Klimawandel». Auf diesen grossformatigen Farbfotos ist ein Eisberg vor der Küste Islands zu sehen. Auf dem Eisberg steht – winzig klein – der Künstler mit einem Gasbrenner und versucht, den Eisberg zum Schmelzen zu bringen, was ihm angesichts der Dimension des Eisbergs natürlich nicht gelingt. Eine noch stärkere Dimension erhalten Charrières Bilder durch seine Installation mit dem Titel «Tropisme». In einer riesigen Vitrine sind dreidimensionale weisse Gebilde zu sehen, mit einer Eisschicht bedeckte Pflanzen. Bei einer Temperatur von minus 196 Grad Celsius hat der Künstler die Pflanzen schockgefroren. Zwar stammen diese Pflanzen weder aus der Arktis noch aus der Antarktis, aber sie tragen zur Stimmung der Eisbergeinstallation bei.
Ausstellung Andreas Züst im Kunstmuseum Luzern bis zum 22.11.2020. Ausstellung Julian Charrière im Kunsthaus Aarau bis zum 3.1.2021.
Eingeworfen am x.x.202x
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