In meiner Jugend war ein Grenzübertritt noch ein Erlebnis. Bereits etwa drei Kilometer vor der Landesgrenze machten Schilder auf den herannahenden Grenzübergang aufmerksam. Vater fuhr mit dem Auto langsam auf das Häuschen zu, vor dem Grenzwächter standen, er kurbelte die Fensterscheibe runter und zeigte seinen Pass oder den Personalausweis. Die Grenze war sichtbar und erfahrbar. Wir Kinder versuchten jeweils Unterschiede in der Landschaft zu erkennen, was meistens nicht gelingen wollte. Der Verputz der Häuser, die Autokennzeichen, die Reklametafeln sahen anders aus. Die Bäume und Wiesen, die Sträucher und Blumen sahen hier wie dort gleich aus. Dann kam die Zeit, in der die Kabinen der Grenzer leer waren, man die Grenze passieren konnte, ohne angehalten zu werden. Vergangene Zeiten. Heute stehen die Zöllner wieder an den Grenzen. Die Pandemie lässt die Grenzen zwischen einzelnen Staaten wieder deutlicher werden.
«Was bedeuten Grenzen für uns? Wie sind sie entstanden? Geben uns Grenzen Sicherheit oder engen sie uns ein? Wie beeinflussen sie unser Leben?» Diesen Fragen geht eine Serie von Artikeln des Schweizer Online-Magazins REPUBLIK nach. «Mit der Personenfreizügigkeit im Schengenraum verloren die Schweizer Landesgrenzen an Bedeutung. Die Pandemie und die Abstimmung über die Begrenzungsinitiative der SVP rückten sie wieder in den Fokus. 1935 Kilometer: So lange ist die Grenze der Schweiz. 800 Kilometer teilt sie mit Italien, 585 mit Frankreich, 364 mit Deutschland,180 mit Österreich und 41 mit Liechtenstein.» Reporterinnen und Reporter von REPUBLIK besuchten im September 2020 einzelne Orte an der Landesgrenze und beschrieben sie. Mit Grenzen befasste sich auch das Autorenpaar Ursula Bauer und Jürg Frischknecht: «Grenzschlängeln» war ein Begriff, den sie im Rahmen einer wunderbaren Serie von kulturellen Wanderführern im Zürcher Rotpunkt Verlag prägten. «Grenzschlängeln» sind Wanderungen entlang der Landesgrenzen, die zeigen, wie ähnlich und wie gleichzeitig auch anders beide Seiten der Grenzen sind. Den Begriff hat das Autorenpaar erstmals 2005 mit dem Buchtitel «Grenzschlängeln. Routen, Pässe und Geschichten. Zu Fuss vom Inn an den Genfersee» formuliert.
Dreizehn Jahre zuvor hat die – leider mittlerweile eingestellte – Kulturzeitschrift «Passagen» der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia 1992 dem Westschweizer Fotografen Jean-Luc Cramatte die Möglichkeit geboten, eine im Jahr 1990 entstandene Fotoserie in schwarz/weiss zu veröffentlichen, bei der es um die unsichtbaren Grenzen der Schweiz ging. «Limite helvétique» heisst die Bilderserie, des 1959 in Porrentruy geborenen Fotografen, der häufig in Bilderserien arbeitet. Von der europäischen Einigung beeinflusst, beschloss er, von einigen zufällig ausgewählten Punkten der Schweizer Grenze aus das angrenzende Ausland zu fotografieren. Sein Projekt, das zunächst darauf abzielte, physisch sichtbar zu machen, wie etwas so Unfassbares wie eine Grenze – abgesehen von den bewusst ausgeklammerten Zollposten – aussehen kann, zeigt das Fliessende der Landschaft, die sich häufig nicht an Grenzen hält. Cramattes Bilder tragen alle einen Titel. Nur beschreiben diese Titel nicht das Gesehene wie etwa eine liegengelassene und von Pflanzen überwucherte Achse eines Fahrzeugs, einen Wasserfall, die Konstruktion einer Holzbrücke über den Rhein oder den damals noch existierenden Grenzzaun zwischen Kreuzlingen und Konstanz. Jedes seiner Fotografie trägt zunächst die geografischen Längen- und Breitezahlen gemäss den Angaben der Landkarten der Eidgenössischen Landestopgrafie.
Erst danach folgt in einem einzigen Wort den Namen des nächstgelegenen Ortes wie etwa Basel, Vaduz oder St.Margrethen, von denen aus das Ausland fotografiert wurde. Was anders ist im Ausland? Man sieht es nicht. In jedem seiner Fotografien hält Cramatte seinen ersten Blick über die Landesgrenze ins Nachbarland fest. Seine Foto-Wanderungen entlang den Landesgrenzen konnte Cramatte 1991 an der Ausstellung «La Suisse autrement» und in Innsbruck im Rahmen der Ausstellung «Kunststrasse 91» zeigen. Das grosse Bild zeigt den – mittlerweile nicht benutzen Grenzposten in Castasegna (GR). Das rote Häuschen der Grenzbeamten hat Bruno Giacometti entworfen. Das kleinere Bild hat Jean-Luc Cramatte von Basel aus aufenommen. Typisch französisch?
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Meine Grenzerfahrung als Kind war folgende: wir fuhren regelmässig mit dem Zug ins Elsass in den fünfziger Jahren. Die Grenze war genau erkennbar:Frankreich begann dort, wo die Häuser Schusslöcher hatten und viele Männer entweder mit nur einem Bein oder nur einem Arm zu sehen waren. Regula G.
Kennst Du John Harlin? Er hat 2011 die Schweizer Grenze fotografiert. Er ist zu diesem Zweck an ihr entlang gelaufen. Auch in den Bergen. Oder manche Teile mit em Fahrrad gefahren, das weiß ich nicht mehr so genau. Er hat das als Blog auf swissinfo veröffentlicht. Dort ist das ganze inzwischen nicht mehr abrufbar. Aber er arbeitet an einem 3bändigen IBook für den Apple Store…
Bei Interesse mache ich gerne den Kontakt.
Liebe Grüße
Hanno