«Endlich», ist man versucht zu sagen. Endlich wird das Musée de l’Elysée in Lausanne geschlossen. Das ist gut so. Geschlossen, um an einem neuen Ort neu eingerichtet zu werden! Kein Wort gegen die Ausstellungen des Hauses. Höchste Zeit dennoch für eine Schliessung am bisherigen Ort nachdem es 35 Jahre lang in einer herrschaftlichen Villa aus den Jahren 1780 et 1783 untergebracht war. Das „musée pour la photographie“ ist ein wichtiger Ausstellungsort mit grosser Ausstrahlung. Auf den vier Etagen des Hauses befinden sich acht verschiedene Ausstellungsflächen, in denen sowohl feste Dauerausstellungen, wie auch wechselnde Themenausstellungen gezeigt werden. Im Besitz des Musée de l’Elysée befinden sich über 100.000 Original-Fotografien aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Aber das verwinkelte Haus mit seinen kleinen dunklen Räumen war niemals als Museum entworfen worden und kann die Erfordernisse an ein modernes Museum nicht erfüllen. Im Herbst 2021 soll es am neuen Standort gleich neben dem Kunstmuseum beim Bahnhof, dem Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne (MCBA), in einem Neubau wiedereröffnet werden. Endlich kein mühsames Treppensteigen mehr, endlich auch ein Ort für Gehbehinderte. Eine letzte Ausstellung findet bis Ende September 2010 im alten Bau statt. Dann ist die Zeit des Aufräumens da. Doch zuvor findet noch die Ausstellung «reGeneration» statt, die vierte unter diesem Titel, die sich den Herausforderungen an die Fotografie von morgen zuwendet und an der junge Fotografinnen und Fotografen ihre Werke ausstellen.
Die bis Ende September 2020 ausgestellten Arbeiten dieser letzten Ausstellung am alten Ort sind in vier Themenbereiche gegliedert: Das Umweltproblem, die Gleichberechtigungs- und Genderfrage, die Herausforderung der digitalen Datenströme und die Bedeutung des Engagements seitens der Künstlerinnen und Künstler für ihre jeweiligen Themen. Die teilnehmenden 35 jungen Fotografinnen und Fotografen stammen aus verschiedenen Ländern. Vier der ausgestellten Arbeiten haben es mir besonders angetan. Zum Beispiel diejenige der 27 jährigen Belgierin Youquine Lefèvre. Sie ist mit Fotos, einem Buch und einem Video vertreten. (Grosses Bild) Die als wenige Monate altes Baby von einem belgischen Ehepaar adoptierte Youqine besitzt weder irgendeine Spur noch ein Dokument zu ihrer biologischen Familie. Mit Fotos aus der Reise ihrer Adoptiveltern nach China, mit Bildern von China und von Menschen dort versucht sie, sich ihrem Ursprung, dessen Sprache sie nicht spricht, zu nähern. Oder Léonie Marion, Schweizerin und ebenfalls 27 Jahre alt. Sie setzt sich mit der Stadt Moutier auseinander, in der Menschen leben, die wünschen, ihre Gemeinde möge dem Kanton Jura zugeschlagen werden, während andere Bewohner einen Verbleib beim Kanton Bern wünschen. «Soulèvement jurassiques» heisst ihr Beitrag, zu dem ebenfalls Fotografien, eine Videoarbeit und Texte gehören.
Spannend wie einzelne Fotografinnen und Fotografen mehr als nur Fotos abgeliefert haben oder mit mehr als nur Fotos auf Papier arbeiten. Mit Politik befasst sich die Arbeit des 30jährigen Syrers Abd Doumany, der eigentlich einen anderen Namen hat, seine in Syrien gebliebenen Verwandten aber schützen will. Das Assad-Regime versucht, Spuren der Verfolgung seiner Gegner zu verwischen. So verschwand das Friedhofsregister von Duma, dem der Fotograf nachgegangen ist und dabei auf Massengräber stiess. Abd Doumany hat die Gräber fotografiert und die Listen wieder geschrieben.
Die französisch-israelische Doppelbürgerin Jennifer Abessira (36) kombiniert ihre Fotoarbeiten unter dem Titel «ElastiqueProject» auf einem Blog und in einem Instagram-Account, ihre Fotos basieren auf Aufnahmen ,die sie mit einem Smartphone gemacht hat. Mit Politik hat die Arbeit «Routes» des 28jährigen Engländers Nathaniel White zu tun: Anhand der Register der Internationalen Flüchtlingsorganisation (IRO) hat er Stellen im Mittelmeer und in der Nordsee lokalisieren und fotografieren können, an denen Flüchtlinge beim Versuch, europäischen Boden zu erreichen, ertrunken sind. Was zunächst nach harmlos schönen Meeresbilder aussieht, zeigt sich auch noch von einer anderen Seite. An den Küsten Siziliens, Lesbos und Palermos oder von Texel hat White die Friedhöfe und Gräber fotografiert, in denen die Ertrunkenen liegen und die Utensilien, mit denen die Leichname vor der Bestattung gewaschen wurden, was die Wirklichkeit des Todes greifbarer macht. Zu sehen ist zum Beispiel Gianni, ein Totengräber auf Lesbos, der Geflüchtete beerdigt hat. Oder ein Leichentuch auf dem Boden des Friedhofs von Lesbos oder das Friedhofsregister in Palermo mit Einträgen, auf denen das Wort «unbekannt» immer wieder vorkommt.
Die letzte Ausstellung im Elysée findet bis zum 27. September 2020 statt. Etwa ein Jahr später erfolgt die Eröffnung des Fotomuseums von Lausanne am neuen Ort. Noch ist offen, welche Institution im bisherigen Elysée mit seinem schönen Park hoch über dem Genfersee einziehen wird.
Eingeworfen am 9.8.2020
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