Fotografien: Ortsgeschichte an Hauswänden

Herleshausen (Hessen). Ein Dorf mit 2700 Einwohnern, das seine vom Zweiten Weltkrieg geprägte Geschichte mit Fotografien auf Tafeln an den Mauern seiner Häuser zeigt. Wie hier die gelbe Tafel an der Mauer eines Dreiseitenhofs. Zwei ehemaligen Bürgermeistern ist zu verdanken, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte so offen erfolgt.

Bis 1989 verlief am Ortsrand die Grenze zwischen zwei deutschen Staaten. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Herleshausen nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt, als hier mit dem Grenzübergang Wartha-Herleshausen einer der wenigen mit Auto zu passierenden Übergänge in die DDR eingerichtet wurde. Auf mehreren Fototafeln im Dorf ist dies heute noch zu sehen.

Die Strasse mit Namen «Strasse der frohen Herzen» beginnt am Bahnhof des Dorfes, auf der vom Oktober 1955 bis Januar 1956 etwa 8000 Spätheimkehrer aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft ihren «Weg in die Freiheit» zum Lager nach Friedland fortsetzten. Fotos im Dorf zeigen es: Tausende von Menschen bereiteten ihnen einen überwältigenden Empfang.

An die jüdische Bevölkerung von Herleshausen erinnert an Hauswänden Fotografien. So etwa eine Fotografie der ehemaligen Synagoge. 1938 fiel das Gotteshaus in der Kristallnacht der Zerstörung zum Opfer. Eine andere Fotografie an einer Hauswand erinnert an Rosi Hanna Ochs, jüdisches Mädchen aus Herleshausen, das rechtzeitig nach Holland auswandern konnte, dort aber von den Nazis aufgegriffen und ins Vernichtungslager Sobibor abtransportiert wurde, um dort ermordet zu werden. Wiederum eine andere Fototafel an einer Hausmauer erinnert an der Juden Michael Callmann, der im Dorf ein Haus besass.

Eindrücklich die Geschichte von Kurt Neuhaus. Der Mann in US-amerikanischer Militäruniform ist auf einer Foto-Texttafel zu sehen. Er floh 1937 aus Deutschland in die USA und kehrte als amerikanischer Soldat 1945 nach Deutschland zurück. Seinem Verhandlungsgeschick ist zu verdanken, dass Herleshausen von den amerikanischen Truppen nicht zerstört wurde.

120 Stolpersteine hat Gunter Deming für die verfolgten Juden von Herleshausen gelegt, an manchen Häusern sind diese Verfolgten in Bild und Text mit ihren ergreifenden Biografien zu sehen. Ein jüdischer Friedhof, in dem bis 1935 Juden aus Herleshausen begraben wurden, steht noch oberhalb des Ortes am Nordausgang in einer Waldecke, über hundert Gräber von Gefallenen der Roten Armee stehen im russischen Friedhof nebenan, manche mit Fotos der toten Rotarmisten.

Ortsgeschichte mit Fotos öffentlich dokumentiert.

Eingeworfen am 22.7.2020

1 Kommentar

  1. Welch spannende Geschichten sich hier spinnen lassen: der Schauplatz als Trouvaille, voller Informationen und sinnlich dicht. Das fallen schon die ersten Sätze… ein unerzählter Stoff. Hier ist vorrecherchiert

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