Die Fotografen der vielen Künstler

Vernissagengäste schauen Künstlern zu bei der Arbeit.

Autor: Michael Guggenheimer

Lange Zeit wurde das Werk eines Fotografenduos in Europa in keiner Ausstellung gezeigt, obschon beide für die Kunstszene eine wichtige Rolle spielten und ihre Bilder in Zeitschriften publiziert wurden. Mehr als zehn Jahre nach ihrem Tod holen Kunstmuseen dies nach: Harry Alexander Shunke (1924 -2006) und Janos Kender (1937 – 2009), zwei Fotografen aus Europa, der eine aus Deutschland, der andere aus Ungarn. Beide haben ihr Metier autodidaktisch erarbeitet, sie lernen sich in einer Galerie in Paris kennen, schliessen sich zusammen, spezialisieren sich zuerst in Frankreich und dann in den 60er Jahren in den USA als Fotografen von bildenden Künstlern. Nach fünfzehn Jahren beenden sie ihre Zusammenarbeit, worauf sie sich darauf einigen, dass sämtliche Fotografien aus der gemeinsamen Zeit mit der Autorenschaft «Shunk-Kender» erwähnt werden sollen. Nach ihrem Tod hinterlassen sie rund 200 000 Fotodokumente, die heute von fünf grossen Museen betreut werden. Ihre Bilder machen sie in Schwarz-Weiss. Und es ist in der Regel gar nicht möglich zu bestimmen, wer welche Fotos gemacht hat.

In den gemeinsamen Jahren treten sie als Porträtfotografen auf, halten Performances in Ateliers, Galerien und im Freien fotografisch fest, dokumentieren Vernissagen, gewähren mit ihren Bildern Einblick ins Innere von Künstlerateliers und in die Schaffensweise von Malern. Sie begleiten mit ihren Kameras eine ganze Generation von bildenden Künstlerinnen und Künstlern und zählen zu den spannendsten Kunstfotografen ihrer Zeit. Zu den wichtigsten Künstlern, die sie mit ihren Kameras bei der Arbeit festhalten, gehören Yves Klein, Niki de Saint Phalle, Christo und Jeanne-Claude, Andy Warhol, Arman, Eva Aeppli, Daniel Spoerri, Claes Oldenburg, Roy Lichtenstein, Robert Rausenberg, John Baldessari, Denis Oppenheim. Eine Vorliebe hatten die beiden Fotografen für Aktionsbilder: Künstler bei ihrer Arbeit auch ausserhalb des Ateliers festhalten, gehörte dazu: Noch in Frankreich haben sie die «Affichistes», jene Künstlergruppe begleitet, die nachts in Paris grossformatige Plakate abreissen, um sie wieder anders zusammenzusetzen, mit dem abgerissenen Material Neues zu collagieren. Die Fotografien zeigen, wie die Plakate heruntergerissen, zusammengerollt und abtransportiert werden. Im australischen Little Bay halten sie das riesige Projekt «Wrapped Coast, One Million Square Feet» von Christo und Jeanne-Claude fest, die mit 90 000 Quadratmetern synthetischem Gewebe einen über 2.5 Kilometer langen und 26 Meter hohen Küstenstreifen am Pazifik während eines ganzen Monats einhüllen. Eine weitere Vorliebe von Shunk und Kender galt dem Privaten im Leben der Fotografierten: Sie machten häufig Bilder von Künstlern im Kreise ihrer Angehörigen und Freunden.

Unerhört schön ihre Porträts der jungen Niki de Saint Phalle. Kaum wiederzuerkennen der junge Daniel Spoerri. Die beiden Fotografen sind nur selten auf Fotos zu sehen. Einmal in einem Video ist festgehalten, wie Harry Shunk (den letzten Buchstaben seines ursprünglichen Familiennamens hat er irgendwann «verloren») fotografiert: Eine Kamera baumelt auf seinem Buch, ebenso ein Belichtungsmesser, eine andere Kamera hält er vor dem rechten Auge, in der anderen Hand eine brennende Zigarette. Verspieltheit zeichnet viele Aufnahmen des Fotografen-Duos.  Sie halten fest, wie Nikki de Saint Phalle mit einem Gewehr Bilder erzeugt oder wie Yves Klein mit drei Aktmodels als «lebende Pinsel», deren Körper mit Farbe belegt wurden, auf Leinwänden, die auf dem Boden liegen vor den neugierigen Augen von Vernissagegästen Körperabdrucke als Gemaltes hinterlassen. Zu den bekanntesten Aufnahmen der beiden Fotografen gehört das Bild von Pier 18 in New York mit dem Blick auf die Häuser am Wasser durch die beiden Hände von John Baldessari. Ein umfangreicher Katalog, vom Centre Pompidou herausgegeben, begleitet die Ausstellung, die bis in den Herbst 2020 im schönen Museo d’arte della Svizzera italiana im Palazzo Reali in der Altstadt von Lugano zu sehen ist. (Im Bild Vernissagengäste bei einer Aktion von Yves Klein mit Models. Foto:Shunk-Kender)

Eingeworfen am 21.6.2020

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