Unterwegs mit Ayse Yavas

«Was, Ayse Yavas fotografiert dich? Welch’ eine Ehre». Das war die Reaktion einer Kollegin, als ich ihr erzählte, dass die Autorenfotografin mich fotografieren werde. «Hast Du Sie darum gebeten, dich zu fotografieren?». Nein, habe ich nicht. Ayse Yavas ist die Fotografin, die seit zwanzig Jahren Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus der Schweiz fotografiert. Benötigt eine Zeitung, ein Veranstalter oder ein Buchverlag das Bild einer Autorin oder eines Autors für einen Zeitungstext oder für ein Buchcover, dann wendet man sich an sie.

«Wir treffen uns am Limmatplatz und dann gehen wir zum Löwenbräu-Areal», lautete ihr Vorschlag. Ich sah uns schon in den Museumshallen der ehemaligen Brauerei von einem Bild zum nächsten gehen und Hintergründe suchen. Sollte ich ihr einen anderen Ort vorschlagen, wo sie mich fotografieren könnte?  Gilbert und George, die gerade dort ausstellen, mochte ich noch nie. Günter Förg in der Galerie Hauser & Wirth schätze ich wegen seiner Bauhaus-Fotografien von Tel Aviv. Aber in der aktuellen Ausstellung geht es um anderes. Sollte ich Ayse Yavas den Vorschlag machen, uns im Fotozentrum in Winterthur zu treffen? Oder in der ICZ-Bibliothek? Ich habe es sein lassen, und wir haben uns trotzdem am Limmatplatz getroffen.

Was zieht man an, wenn man weiss, dass eine professionelle Fotografin einen fotografieren wird? Sollte ich vielleicht keine schwarze Jacke tragen? In einer SMS fragte ich sie am Vorabend: «Muss ich auf etwas achten, eine bestimmte Farbe oder dunkle Kleider meiden?». Ihre Antwort kam Minuten später: «Du kannst anziehen, was Du Lust hast.» «Dann komme ich mit der roten Perücke und den Palmen-Bermudas», antwortete ich. Ich war unsicher. Wenn ich moderiere, trage ich stets meine Schmucknadel am Sakko. Ich liebe zeitgenössischen Schmuck. Und so kennen mich viele auch. Ist das eitel? Geht das? Ich beschloss, dass Schmuck ebenso zu mir gehört wie meine Hörgeräte. Ich werde sie nicht wegen eines Fototermins abziehen. Zudem will ich mich ja während des Treffens mit der Fotografin unterhalten können.

Unterwegs zum Löwenbräu haben wir draussen auf einer Bank bei den Bögen des Viadukts einen Kaffee getrunken: weil sie nachher beim Fotoshooting nicht so gesprächig sein werde, sollten wir uns jetzt etwas warmreden. Wir unterhielten uns über Kameras, über die Coronakrise, die auch angenehme Seiten hatte, über die man weniger spreche. Und dann die Überraschung: Nein, wir würden die beiden Museen und die Galerien im Löwenbräu-Areal nicht aufsuchen. Sie sei immer wieder mit dem Rad in der Stadt unterwegs auf der Suche nach möglichen Aufnahmeorten, erzählte sie.

Und wirklich: Während mehr als einer Stunde bewegten wir uns von einer Ecke des Gebäudekomplexes zur nächsten. Erst dann begriff ich: Das Porträt sollte vor einer neutralen Kulisse aufgenommen werden, nichts sollte ablenken, nichts einen Hinweis auf irgendwelche Aktivitäten von mir geben. Hätt’ ich vor dem Termin ihre Homepage angeschaut, ich hätt’s gewusst! Einmal bat sie mich, um eine Betonsäule zu gehen, ein anderes Mal sollte ich mich an eine Wand lehnen. Als wir an einer grauen Metalltür vorbeigingen, auf der in schwarzer Schrift das Wort «Mémoire» stand, dachte ich, das wäre der Ort für ein Bild. Ayse Yavas lachte nur, als ich schnell eine Aufnahme der Tür mit meinem Handy machte, und ging weiter. Zweimal bat ich Ayse Yavas darum, sie beim Fotografieren fotografieren zu dürfen, ein erstes Mal mit meiner Kamera, ein zweites Mal mit dem Smartphone.

Michael Guggenheimer fotografiert Ayse Yavas

Ich schätze, dass sie an die 180 Mal den Auslöserknopf ihrer Nikon gedrückt hat. Immer wieder schaute sie auf dem Display die Bilder an, legte die Kamera wieder ans Auge und fotografierte weiter. Hier sollte ich die Hände aus den Hosentaschen nehmen, dort sollte ich mich leicht mit der Schulter an die Wand lehnen, da doch noch etwas lockerer stehen. Und nein, ich müsste gar nicht lächeln, ich sei doch auch ein sehr ernster Mensch. Wir standen an einer Garageneinfahrt, die dann doch nicht geeignet war, gingen zwischen schweren Lastwagen und an einer Baustelle entlang, wo das Licht zu grell war.

Und dann war da die schmale Treppe runter zu einer Metalltür mit einem runden Fenster. Ich stand am untersten Treppentritt und sie am obersten, und sie schaute mich durch den Sucher an, lehnte sich an die gegenüberliegende Wand, und ich merkte plötzlich, das wird der Ort sein, der für sie und für mich stimmte. Ein Bild, noch ein Bild, dann eine ganze Serie. Als sie sich gerade etwas anders an die Wand lehnen wollte, nahm ich mein Mobiltelefon zur Hand und fotografierte die Porträtfotografin. Beim Anschauen des Bildes fiel mir auf, wieviel Energie sie ausstrahlt. Was wohl die Porträtfotografin von mir dachte, als sie mich so viele Male im Sucher sah?

Nach anderthalb Stunden Fototermin setzten wir uns im Garten eines nahen Cafés hin, die Bilderserien blieben ungezeigt in der Kamera. Wir unterhielten uns über Lieblingsautorinnen und -autoren. Demnächst wird sie Mundartautor Ernst Burren wieder fotografieren. Es sind Jahre her, seitdem sie ihn fotografiert hat. Thomas Hürlimann hat sie bereits zweimal getroffen, der Termin mit Christoph Marthaler musste wegen der Coronakrise verschoben werden, und Erica Pedretti sollte sie noch unbedingt fotografieren, morgen wird sie ihr eine Mail schreiben. Am Abend schon kam ein erstes Bild von mir per Mail bei mir an. So ernst sehe ich aus? Ja, das muss so sein. Ich muss mich jetzt an mich gewöhnen. Danke, Ayse!

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2 Kommentare

  1. Der Krassnitzer hat dir sowas wie das Motto für deine Fimeinwürfe geliefert: Blick über die Bande. Und jetzt bist du dir selber auch noch vor die Linse – sagt man das so? – geraten, aber durch die einer anderen, die du dann wieder durch die deine betrachtet hast. Schön zu sehen, schön zu lesen. Hugo

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  2. Sehr schön, das beschriebene Wechselspiel zwischen fotografieren und selbst fotografiert werden. Und ja, stets eigenartig, sich selbst auf Fotos anzuschauen. Ayse wird es dir bestimmt leicht machen mit ihrem intensiven Blick und ihren Bildern, dich an dich zu gewöhnen!

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